Politik

Kinder müssen in der Schule Masken tragen, Erwachsene in den Büros nicht – Helen Zeidler versteht das nicht. (Foto: dpa/Andreas Arnold)

04.09.2020

"Kindern wird mehr zugemutet als Erwachsenen"

Helen Zeidler von der Initiative Familien in der Krise über das Vorschriften-Chaos für Kitas und Schulen, die Maskenpflicht und ihre Ideen, wie es besser ginge

Das neue Kita-Jahr hat gerade begonnen, am Dienstag starten auch die Schulen ins neue Jahr – unter anderem mit einer befristeten Maskenpflicht im Unterricht. Es ist nicht die einzige Maßnahme, die Helen Zeidler kritisiert. Die 32-Jährige hat die Landesgruppe Bayern der Initiative Familien in der Krise gegründet, die den Eltern eine Stimme geben will – nicht nur in der Corona-Krise.

BSZ Frau Zeidler, Sie haben einen zweijährigen Sohn, der eine Krippe besucht: Wie sind Sie bisher durch die Corona-Zeit gekommen?
Helen Zeidler Die Zeit von März bis Juni war für uns alle unglaublich anstrengend. Mein Mann und ich arbeiten beide an der Universität in der Forschung, beide in Vollzeit. Wir waren im Homeoffice und haben uns dabei die Betreuung unseres Sohnes geteilt. Die Krippe war ja zu. Jetzt kann unser Sohn wieder in die Kindertagesstätte gehen, aber wie lange wir dort Regelbetrieb haben werden, da habe ich meine Zweifel.

BSZ
Haben Sie dieses Gefühl auch im Hinblick auf den Schulstart in der kommenden Woche?
Zeidler Ja, auch der Schulstart bereitet mir Bauchschmerzen. Die Politik hat es bis jetzt versäumt, konkrete und praxisnahe Konzepte zu erarbeiten, wie Kinderbetreuung und Schule in Pandemie-Zeiten bestmöglich gelingen können. Was es gibt, ist ein Chaos von Vorschriften, Newslettern, Empfehlungen, Stufen- und Hygieneplänen, die sich dann auch noch teilweise widersprechen. Die Folge ist: Keiner blickt mehr durch, weder die Eltern noch die Träger von Kitas noch die Schulleiter. Und deshalb wird jetzt jeder so weiterwurschteln wie vor den Ferien. Hier sollte die Politik endlich Klarheit schaffen, um für alle Beteiligten zumindest ein gewisses Maß an Planbarkeit zu ermöglichen, aber auch wieder mehr Bildungsgerechtigkeit zu schaffen.

BSZ Warum hat Ihrer Meinung nach die Bildungsgerechtigkeit gelitten?
Zeidler Die Qualität des Fernunterrichts vor den Sommerferien hätte unterschiedlicher nicht sein können. Es gab große Unterschiede zwischen den Schulen, aber auch innerhalb der Schulen zwischen den Lehrern. Einige Schulleiter und Lehrer haben sich ein Bein ausgerissen, um ihren Schülern Online-Unterricht zu ermöglichen. Andere hingegen haben nur ein paar Arbeitsblätter geschickt, die die Eltern dann korrigieren mussten. Hier bräuchte es klare Kriterien vonseiten des Ministeriums.

BSZ Klarheit herrscht jetzt zumindest bei der Maskenpflicht. Diese gilt ab der fünften Klasse auch im Unterricht für die ersten zwei Wochen. Ihres Erachtens eine richtige Entscheidung?
Zeidler Nein. Wir lehnen die Mund-Nasen-Bedeckung während des Unterrichts grundsätzlich ab. Die Einschränkungen durch die Masken sind zu massiv, das hat sich deutlich in NRW gezeigt. Kinder und Jugendliche haben vermehrt über Atemnot, Übelkeit, Kopfschmerzen und Schwindel geklagt. Dazu kommt, dass die Masken die Kommunikation zwischen Lehrern und Schülern erheblich erschweren. Ein qualitativ hochwertiger Unterricht ist mit Maske nicht möglich, ebenso wenig eine gute Pädagogik in den Kitas.

"Es gibt sehr starke Hinweise darauf, dass Kinder nicht die Treiber der Pandemie sind"

BSZ Nach jetziger Regelung müssen Schüler*innen und Lehrkräfte, aber auch das Personal in den Kitas Masken tragen, sobald im Landkreis oder in der Stadt der Frühwarnwert von 35 Neuinfektionen pro sieben Tage und pro 100 000 Einwohner überschritten wird.
Zeidler Es ist eine Katastrophe, auch und vor allem für die Kitas. Diese Regelung bedeutet, dass die Kleinkinder nicht mehr die für sie so wichtige Mimik ihrer Erzieherin wahrnehmen können. Wie soll Spielen, Kuscheln, Singen und Trösten mit Maske funktionieren? Wie soll die Eingewöhnung funktionieren? Wie sollen die Kinder Vertrauen gewinnen, ohne dass sie Gesichter sehen dürfen? Dieser Wert von 35 ist schnell erreicht, aktuell wird er von Städten wie Landshut, Memmingen und Ingolstadt überschritten. Und auch, wenn dieser Wert laut Kultusminister Michael Piazolo nur eine Orientierungshilfe ist, werden sich die meisten Gesundheitsämter, Schulen und Kitas strikt daran halten –  einfach, um sich nicht angreifbar zu machen. Das heißt, auch viele Schüler werden nach den ersten zwei Wochen weiterhin eine Maske tragen müssen. Ihnen wird damit mehr zugemutet als Erwachsenen, die im Büro arbeiten. Und das, obwohl Kinder weniger ansteckend sind als Erwachsene.

BSZ Die Studienlage zur Ansteckung von Kindern ist aber noch nicht eindeutig.
Zeidler Eindeutig nicht, das stimmt. Aber es gibt doch sehr starke Hinweise darauf, dass Kinder nicht die Treiber der Pandemie sind. Zu diesem Schluss kommen mehrere deutsche, aber auch internationale Studien. Umso weniger ist nachzuvollziehen, warum nun gerade Kindern diese massiven Einschränkungen auferlegt werden. Private Feiern hingegen, die nachweislich zur Ausbreitung von Corona beigetragen haben – und es immer noch tun –,  sind weiterhin mit bis zu 100 Personen in geschlossenen Räumen erlaubt. Übrigens ohne dass die Gäste einen Mundschutz tragen müssen.

BSZ Welche Alternativen sehen Sie zur Maskenpflicht im Unterricht?
Zeidler Es hätte viele Möglichkeiten gegeben. Luftfilteranlagen zum Beispiel. Oder das Ausweichen in größere Räumlichkeiten, um Abstände gewährleisten zu können. In Dänemark beispielsweise wird in Messehallen und Fußballstadien unterrichtet. Warum sollte das nicht auch in Deutschland funktionieren? Um die Lehrer zu unterstützen, könnten Lehramtsstudenten eingestellt werden, so, wie in den Krankenhäusern Medizinstudenten ausgeholfen haben. Aber diese Ideen wurden von der Staatsregierung nie als mögliche Lösungen in Betracht gezogen. Wir haben sie gegenüber Herrn Piazolo angesprochen, aber nie Rückmeldung erhalten. Die Regierung hat von Anfang an auf die angeblich „alternativlose“ Maske gesetzt. Der Grund ist einfach: Für alle anderen Ideen müsste der Staat Geld in die Hand nehmen. Die Masken hingegen zahlen die Bürger selbst.

BSZ Geld in die Hand nimmt die Staatsregierung jetzt immerhin bei den Themen Schülertransport und Digitalisierung.
Zeidler Das ist auch aller Ehren wert und wir begrüßen das auch. Die Frage ist nur: Warum passiert das jetzt erst? Eine Woche vor Schulbeginn wird den Kommunen eröffnet, dass der Freistaat die Mehrkosten für mehr Schulbusse übernimmt. Da hätte ich mir doch mehr Planungszeitraum für die Kommunen gewünscht. Dass jetzt insgesamt 370 000 Geräte für Schüler und Lehrer angeschafft werden, ist richtig und wichtig. Aber vieles ist auch hier ungeklärt. Wer administriert die Geräte, damit sie im Unterricht eingesetzt werden können? Und wer bezahlt das? Und was ist mit den Schulungen für Lehrer? Digitalunterricht ist etwas ganz anderes als Frontalunterricht. Aber auch in diesen Bereichen ist viel zu wenig passiert.
(Interview: Beatrice Oßberger)

Foto (privat): Mikroökonomin Helen Zeidler (32) lebt in Augsburg und arbeitet an der katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt.

Info: Die Regeln für Kitas und Schulen
Es gilt das Regionalprinzip. Das Infektionsgeschehen in dem Landkreis oder der Stadt ist ausschlaggebend dafür, welche Maßnahmen ergriffen werden.

Seit dem 1. September gilt in Bayern für Kitas:
Stufe1: Liegt die Inzidenz unter dem Frühwarnwert von 35 Neuinfektionen pro sieben Tage und 100 000 Einwohner, gelten allgemeine Hygieneauflagen wie Lüften oder Händewaschen. Kinder mit leichtem Schnupfen oder Husten dürfen in die Einrichtung.

Stufe 2: Ab 35 Neuinfektionen müssen die Erzieher*innen Maske tragen. Zudem müssen feste Gruppen gebildet werden. Kinder mit leichtem Schnupfen oder Husten dürfen die Einrichtung besuchen.

Stufe 3: Bei einem Wert über 50 Neuinfektionen ist nur mehr eine Notbetreuung möglich. Kinder, die grundsätzlich die Notbetreuung besuchen dürfen, allerdings Schnupfen oder Husten haben, brauchen einen negativen Corona-Test.

Ab dem 8. September gilt für Schulen:

Es wird mit Vollunterricht gestartet. In den ersten beiden Schulwochen müssen Schüler*innen und Lehrkräfte ab der fünften Klasse auch während des Unterrichts eine Maske tragen. Grundschüler sind ausgenommen.

Stufe 1: Bei einem Infektionsgeschehen unter dem Frühwarnwert gelten die allgemeinen Hygieneregeln wie Maskenpflicht auf dem Weg ins Klassenzimmer.

Stufe 2: Ab der Inzidenz von 35 Neuinfektionen gilt für Schüler*innen und Lehrkräfte ab der fünften Jahrgangsstufe die Maskenpflicht im Unterricht. Grundschüler sind ausgenommen.

Stufe 3: Ab 50 Neuinfektionen muss auch im Klassenzimmer der Mindestabstand von 1,5 Metern eingehalten werden. In der Praxis wird das für die meisten Klassen bedeuten, dass sie geteilt werden müssen und die Gruppen Präsenzunterricht erhalten. Dort gilt eine Maskenpflicht, dann auch für Grundschüler.
(oss)

Kommentare (1)

  1. Michael Mayer am 05.09.2020
    Es kann mir doch niemand erzählen, dass die Mehrheit der Eltern, Schüler und Lehrer diese abnormalen Regelungen unterstützt. Können wir bitte wieder zu einer vernünftigen Demokratie zurückkehren?
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