Politik

Verbeamtet?Manch junge Lehrkraft wäre schon froh über eine unbefristete Anstellung. (Foto: dpa)

18.05.2018

Lebensplanung fällt aus

In Bayern hangeln sich rund 7000 junge Lehrer von Vertrag zu Vertrag – Verbände und Opposition üben scharfe Kritik

Pläne schmiedet Anne S. nicht mehr. „Wie denn auch? Ich bekomme ja seit sechs Jahren nur befristete Verträge“, sagt die 34-Jährige. Was das im Alltag bedeutet? „Man ist nicht kreditwürdig, bekommt schwer eine Wohnung, weiß nie, wie es weitergeht“, sagt Anne. Ihr Kinderwunsch liegt auf Eis. „Weil ich als Mutter in Teilzeit noch schlechter dastünde.“ Die Oberbayerin liebt ihren Job, engagiert sich, übernimmt Zusatzaufgaben. In der freien Wirtschaft hätte jemand wie sie wohl längst eine unbefristete Stelle. Doch Anne ist Realschullehrerin und der Freistaat ihr Arbeitgeber.

Waren während ihres Studiums die Karriereaussichten noch gut, hat sich das Rad inzwischen gedreht: Freie Stellen für Real- und Gymnasiallehrer gibt es kaum noch, während Grund- und Mittelschulen Probleme haben, Personal zu finden. Annes Hoffnung auf eine Planstelle geht gegen null. „Denn meine Erfahrung zählt nicht, sondern allein der Notenschnitt.“ Und weil der zwar gut, aber nicht im Einserbereich ist, bleibt ihre Zukunft ungewiss.

Mit ihren Existenzängsten ist die Deutschlehrerin nicht allein. In einer Facebook-Gruppe für Lehrer in Bayern melden sich auf die Anfrage spontan rund 100 junge Menschen, die sich von Vertrag zu Vertrag hangeln – und nicht mehr wissen, wohin mit ihrem Frust. Weil alle negative Konsequenzen für die Laufbahn fürchten, möchte keiner mit dem echten Namen zitiert werden. „Das klingt paranoid, ist dem System aber zuzutrauen“, schreibt ein 36-Jähriger.

Eine Anfrage der SPD-Fraktion beim Kultusministerium ergab, dass die Zahl der befristet beschäftigten Lehrer von 2012 bis 2016 an Grund- und Mittelschulen um knapp 50 Prozent, an Realschulen sogar um fast 70 Prozent gestiegen ist. Insgesamt waren 2016 rund 7000 Lehrer befristet eingestellt, 13 Prozent mehr als 2012. Laut Ministerium sind knapp fünf Prozent aller Lehrer befristet angestellt.

Kettenverträge, also das ständige Erneuern der Befristung, sind gang und gäbe. So hatte der Landesverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) jüngst den Fall eines Lehrers auf dem Tisch, der in zehn Jahren zwölf Verträge hatte. „Und das, obwohl die mobilen Reserven vielerorts schon zu Beginn des Schuljahres ausgeschöpft waren“, sagt Martina Borgendale, stellvertretende GEW-Landesvorsitzende. Doch statt mehr Planstellen zu schaffen und die Reserven aufzustocken, werde lieber auf befristet beschäftigte Lehrkräfte zurückgegriffen.

Arbeitslos im Sommer

Viele von ihnen werden mit den Sommerferien in die Arbeitslosigkeit geschickt, ihr Vertrag endet mit dem letzten Schultag. Laut GEW meldeten sich in Bayern vergangenen Sommer 861 Lehrkräfte arbeitslos. Rechtens ist das nach Auskunft des Kultusministeriums alles. Aber auch sozial und sinnvoll? Und wie passt das zum drohenden Lehrermangel angesichts steigender Schülerzahlen, mehr Ganztagesklassen und der Pensionierungswelle?

Gewerkschaften, Lehrerverbände und Opposition kritisieren die Beschäftigungspolitik des Ministeriums scharf. „Das läuft entgegen den klaren Zielsetzungen der großen Koalition, die befristete Beschäftigungen zurückdrängen wollen“, sagt SPD-Fraktionsvizin Simone Strohmayr. Immer mehr Lehrer könnten wegen Überlastung nicht bis zum Ruhestandsalter unterrichten. Gleichzeitig würden junge, qualifizierte Menschen, die diese Mehrbelastung abfedern könnten, mit befristeten Verträgen abgespeist oder gar nicht eingestellt. Nur 26,1 Prozent wechselten laut SPD zwischen 2012 bis 2017 von einem befristeten Vertrag in die Verbeamtung.

Auch die Freien Wähler wettern: „Die Hire-and-fire-Politik der Staatsregierung führt nicht nur zu Engpässen in der Unterrichtsversorgung – sie raubt jungen, gut ausgebildeten Pädagogen die Berufsperspektive und zwingt sie in prekäre Lebensverhältnisse“, sagt der bildungspolitische Sprecher Michael Piazolo.

Das Kultusministerium verweist darauf, dass 2016 rund 1700 zusätzliche Stellen geschaffen wurden und in den kommenden Jahren rund 2000 neue Lehrer eingestellt werden sollen. Ministerpräsident Markus Söder versprach in seiner Regierungserklärung weitere 2000 neue Stellen.

Die Zunahme der temporären Verträge an Grund- und Mittelschulen wird mit dem Zustrom von Flüchtlingen erklärt, für deren Integration zusätzliche Fachkräfte auf Zeit eingestellt wurden. Zudem seien auch 13 000 Lehrer, die derzeit an der Zweitqualifizierung für Grund- und Mittelschulen teilnehmen, zunächst befristet angestellt. An den Realschulen sei das Durchschnittsalter des Kollegiums niedrig – dementsprechend seien viele in Elternzeit oder der familienpolitischen Beurlaubung und müssten vertreten werden.

Piazolo will jedoch nicht glauben, dass der Anstieg der Befristungen allein auf eine unvorhersehbare Zunahme des Personalbedarfs zurückgeht. „Vielmehr muss der Staatsregierung System unterstellt werden.“ Diese Vermutung werden auch die betroffenen Lehrer nicht los. Denn Personalmangel, das bestätigen alle, herrsche grundsätzlich an fast jeder Schule. Doch wenn eine weitere Befristung rechtlich nicht mehr möglich sei, würde das Ministerium den Kollegen nicht endlich einen unbefristeten Vertrag anbieten, sondern die Zusammenarbeit lieber beenden.

So fürchtet auch Christian T., dass er bald für den Dienst an staatlichen Schulen gesperrt wird. Der Vater zweier kleiner Kinder ist seit Jahren an einer Realschule in Oberfranken. „Ich bin Teil der Schulfamilie geworden. Mit dem Wissen, dass dieses Verhältnis von Staats wegen her endlich ist, ist es echt schwer, die Motivation aufrechtzuerhalten oder nicht zu verzweifeln“, schildert der 36-Jährige. Sollte sein Vertrag übernächstes Jahr nicht entfristet werden, müsse er sich für Beschäftigungsmöglichkeiten an kirchlichen, städtischen oder privaten Schulen bewerben.

Unverständnis für die Personalplanung herrscht auch beim Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV). „Bildung braucht Kontinuität, und dafür braucht es Kollegen, die auch in ihrem Leben diese Stabilität spüren“, sagt Präsidentin Simone Fleischmann und fordert mehr Verbeamtungen. Es brauche endlich eine langfristige Strategie. „Ein reiches Bundesland wie Bayern sollte sich eine 110-prozentige Lehrerversorgung leisten können. Ich habe in meinen zwölf Jahren als Rektorin noch nie einen Lehrer vor Langeweile in der Nase bohren gesehen“, so Fleischmann.

Für Christian T. ist der Beamtenstatus schon längst nicht mehr das Ziel. „Ich wünsche mir einfach nur eine Entfristung, um für meine Familie endlich eine gesicherte Zukunft zu haben.“
(Ruth van Doornik)

Kommentare (1)

  1. Herbert am 21.05.2018
    Bei meinen Kindern sind Lehrer Mangelware. Unterrichtsausfälle, überfordertes Lehrpersonal.
    Schade, das man für unsere Zukunftsgeneration scheinbar nichts übrig hat.
    Sowie leuft bei uns auch einiges mit der Integration schief.
    Wieso handelt da die Politik nicht, oder besser gesagt sieht weg.
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