Politik

Typisches Bild an bayerischen Hochschulen: Ein Dozent und viele Studentinnen. (Foto dpa)

13.11.2015

Männer berufen Männer

Trotz zahlreicher Förderprogramme für Frauen: 83 Prozent der Professoren an den bayerischen Hochschulen sind männlich

Mädchen machen häufiger Abi als Jungen, sie studieren ebenso oft, und sie verfassen fast die Hälfte aller Promotionen. Trotzdem sind Frauen bei den Professorenstellen in der Minderheit. Die Zeit ist also überreif für einen Wandel: Ein Drittel der Professorenstellen wird in den kommenden Jahren neu besetzt. Die Lösung der Landtags-Opposition: Eine Quote Der Lebenslauf von Ayse Cicek liest sich beeindruckend: Sie hat mit magna cum laude promoviert, ist Dozentin für Pflegewissenschaften, war als Beraterin und Auditorin tätig, hat hunderte von Stunden in der Pflege gearbeitet und ist seit Oktober Referentin für Pflege und Altenhilfe beim Landesverband der Arbeiterwohlfahrt (AWO). Ihr Arbeitsschwerpunkt: interkulturelle Kompetenz in der Pflege – angesichts der Zuwanderung nach Deutschland und der alternden Gesellschaft das Zukunftsthema schlechthin.

Und doch ist die 43-jährige Mutter von vier Kindern immer noch nicht Professorin. Wäre Cicek ein Mann, hätte sie wahrscheinlich längst einen Ruf. Denn traurige Tatsache ist: 83 Prozent der Professoren im Freistaat sind männlich (Stand 2013), im Bund 80 Prozent. Ganz arg ist es um die Spitze bestellt: Nur drei Uni-Präsidentinnen gibt es aktuell im Freistaat. Bei den Studenten das krasse Gegenteil: 52 Prozent der Studierenden im Wintersemester 2015/16 sind weiblich, der Frauen-Anteil an den Promotionen lag 2013 bei 45 Prozent.

Die Zeit ist also überreif für einen Wandel. Und die Bedingungen wären eigentlich perfekt: Ein Drittel der Professorenstellen muss in den kommenden Jahren neu besetzt werden, betont man bei der Landeskonferenz der Gleichstellungs- und Frauenbeauftragten an den bayerischen Hochschulen (LaKoF). Mehr Frauen in den Hörsälen vorne am Pult – das sei „auch ein wichtiger Standortfaktor für das bayerische Hochschulwesen“, sagt Ludwig Unger, Sprecher des Wissenschaftsministeriums. Um dieses Ziel weiterzuverfolgen, gäbe es im Freistaat zahlreiche Instrumente. Unger listet auf: Die Frauenbeauftragten haben ein Mitwirkungsrecht; das Innovationsbündnis „Hochschule 2018“ sehe Maßnahmen zur Frauenförderung und Gleichstellung vor; es gebe das „Programm zur Realisierung der Chancengleichheit für Frauen in Forschung und Lehre“, das 2015 mit 3,1 Millionen und 2016 mit 3,5 Millionen Euro für Stipendien und Mentoringprogramme ausgestattet sei. Auf Uni-Ebene bedeutet das zum Beispiel in Passau: Reisekostenhilfe, Mobilitätsbeihilfe, Stipendien, Projektförderungen für Postdoktorandinnen, Habilitationsförderung, finanzielle Förderung von alleinerziehenden Studentinnen und vieles mehr – alles nur für Frauen.

Und trotzdem: Die Entwicklung läuft schleppend. Am „Professorinnenprogramm“ des Bundes haben sich 2014 nur 13 bayerische Hochschulen mit ihren Gleichstellungskonzepten beteiligt, und nur sieben galten als förderwürdig. Immerhin: Der Anteil der Frauen unter den Wissenschaftlern, die in Bayern promovierten, stieg von 33 Prozent im Jahr 2000 auf heute 45 Prozent. Der Anteil der Frauen, die sich habilitieren, stieg von zwölf auf 28 Prozent. Die Zahl der Hochschulprofessorinnen hat sich von sechs auf rund 17 Prozent erhöht.

„Ein Aufstieg vom zehnten ins siebte Tiefparterre“

Ministeriums-Sprecher Unger spricht entsprechend von „Verbesserungen“, Isabel Zacharias, hochschulpolitische Sprecherin der Landtags-SPD, sieht darin lediglich „einen Aufstieg vom zehnten ins siebte Tiefparterre“. Die Grüne Verena Osgyan meint: „Das sind nur kleine Trippelschritte.“

Warum aber tun sich Unis und Hochschulen  so schwer?  Die Psychologin Bettina Franzke (44) ist Professorin für interkulturelle Kompetenzen und Diversity-Management an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW in Köln. Sie coacht im Auftrag der LaKoF Wissenschaftlerinnen in Sachen Hochschulkarriere. Franzke hat unterschiedliche Problemfelder ausgemacht. Zunächst: „Frauen verkaufen sich häufig unter Wert.“ Auch die Mathematikerin Christine Süß-Gebhard, Frauenbeauftragte der Ostbayerischen Technischen Hochschule in Regensburg und Sprecherin der LaKoF für den Bereich Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (HAW) hat festgestellt: „Männer sagen: Ich kann das. Frauen sagen: Ich weiß nicht, ob ich das kann.“ Erschwerend hinzu kommen allerdings die Hochschul-Strukturen: Professoren in  Berufungskommissionen erkennen – anders als ausgebildete Personaler in Unternehmen – beim künftigen Bewerber selten die Potenziale. Zu sehr achten sie auf das, was Schwarz auf Weiß vorliegt.

Während männliche Erwerbsbiografien immer noch meist geradlinig verliefen – Studium, Promotion, Habilitation, Arbeiten – verliefen die der Frauen „eher zick zack“: Studium, Promotion, Familiengründung, Phasen der Teilzeittätigkeit oder der Selbständigkeit, Habilitation. Das passe nicht in die starren Vorstellungen der Berufungskommissionen, so die Expertinnen.„Auch Osgyan stellt fest: „Männer wählen nach dem Ähnlichkeitsprinzip“, das heißt: Der neue Kollege soll in Lebenswandel und Vorstellungen ähnlich, also wieder ein Mann sein.

„Sagst du, dass du Kinder hast, bist du raus“

Dazu kommt: Warum die Kommissionen wie entscheiden, „das ist alles andere als transparent“, sagt Osgyan. Eine Wissenschaftlerin, die nicht genannt werden möchte, beschreibt es aus ihrer Sicht: „Die laden mich ein, meine Referenzen haben überzeugt, meine Probevorlesung läuft sehr gut, und dann erzähle ich, dass ich Kinder habe. Dann bin ich raus.“ Besonders frustriert ist die Frau, weil die Stelle stets Menschen bekamen, die entweder schon Kinder über 18 hatten oder keine (mehr) bekommen konnten.

Die akademische Welt ist offenbar im letzten Jahrhundert stecken geblieben: Immer noch wird Präsenz an der Uni gleichgesetzt mit Leistungsfähigkeit. „Da herrschen typisch männliche Erwartungen“, sagt auch Ayse Cicek: „Drei Jahre Auslandserfahrung, abends mit den Kollegen einen trinken gehen, monatlich eine Veröffentlichung und dauernd Drittmittel einwerben, das wird erwartet.“ Sich dann aber als Uni familienfreundlich nennen –  das passe nicht zusammen. Dabei böte der routinierte und in vielen Fachbereichen gut planbare Unibetrieb große Chancen für Familienmenschen. „Viele junge Kollegen und Kolleginnen verzichten zugunsten der Hochschultätigkeit sogar auf besser bezahlte Posten in der Industrie, weil sie mehr Zeit für ihre Familie haben wollen“, erklärt Süß-Gebhard.

„Die einzige Antwort ist eine Quote“, sagt die SPD-Frau Zacharias. Das sieht auch die Grüne Osgyan so, ihr schwebt eine „kaskadenartige Zielquote je nach Fachbereich wie in Nordrhein-Westfalen“ vor. Der Frauenanteil der nächstunteren Stufe bestimmt dort die Quote der nächsthöheren Stufe. Wenn dies auf die einzelnen Disziplinen angepasst wird, dann würde auch das oft gehörte Argument „Wir haben nicht genug weiblichen Nachwuchs“ zum Beispiel in den MINT-Fächern wegfallen. Wichtig sind Osgyan dabei klare Vorgaben durch den Gesetzgeber.

Oliver Jörg (CSU), Vorsitzender des Hochschulausschusses, mahnt dagegen zur Geduld: „Solche personellen Umbrüche dauern naturgemäß, zumal eine Hochschulkarriere eine besonders langwierige Qualifikationsphase voraussetzt.“ Und er findet: „Die Anreizsysteme (...) tragen langsam Früchte.“

Ayse Cicek lässt derweil nicht locker: Im Rahmen des Programms „Rein in die Hörsäle“, eine Initiative der Frauenbeauftragten derHAWs, hat sie ein Stipendium des Freistaats zur Vorbereitung auf eine spätere Professoren-Stelle, macht Coachings und arbeitet an Bewerbungsunterlagen und Auftreten. Damit auch sie einmal akademische Früchte ernten kann. (Anja-Maria Meister)

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