Politik

Szene aus dem Lehrfilm des Justizministeriums: Rechtsprechung und Religion sind bei uns getrennt, lernen die Flüchtlinge.

15.01.2016

Neue Heimat, neue Werte

Neben der CSU setzt inzwischen auch die Opposition zunehmend auf verpflichtende Maßnahmen zur Flüchtlingsintegration

Wenn der Integrationsbeauftragte der bayerischen Staatsregierung, Martin Neumeyer, Tipps braucht zur Flüchtlingsintegration, fragt er gern mal seinen Praktikanten. Vor einer Landtagsdebatte zum Thema Werte etwa wollte er von dem jungen Syrer (24) wissen, wie man in Syrien zur Gleichberechtigung steht. Oh, habe Yazdan Scher Ayo geantwortet, „das ist bei uns unbekannt“. Die Frau habe in Syrien „eine andere Stellung als der Mann“. Mit dieser Überzeugung, bedauert Neumeyer, der auch für die CSU im Landtag sitzt, „kommen viele nach Deutschland“.

Gleichberechtigung, Religionsfreiheit, Toleranz: Was viele der Geflüchteten in ihrer Heimat kaum kannten, zählt bei uns zu den Grundwerten. Weshalb parteiübergreifender Konsens besteht, Migranten möglichst rasch und umfassend mit dem westlichen Demokratieverständnis vertraut zu machen. Nur beim „Wie“ war man sich lange Zeit nicht einig. CSU und CDU hatten mit ihrem unglücklichen Postulat der „deutschen Leitkultur“ die Opposition und weite Teile der Bevölkerung gegen sich aufgebracht. Dabei wollen im Grunde alle das Gleiche: Migranten müssen sich ebenso wie Deutsche an das Grundgesetz halten. Das hat im Dezember jedenfalls eine Anfrage der Staatszeitung an alle Landtagsfraktionen ergeben.

„Leitkultur“: Ein Reizwort

Eine andere Frage ist, wie man Migranten die Werte unserer Werte- und Rechtsordnung nahebringt. Per Pflichtkurs? Oder lieber auf freiwilliger Basis? Noch gibt es keine Zwangsveranstaltungen in Bayern. Staatlich geförderte Integrationsangebote, so ein Sprecher von Sozialministerin Emilia Müller, „sind stets freiwillig, es besteht keine Verpflichtung“. Noch.

Gerade hat Justizminister Winfried Bausback laut über Pflichtkurse zur Flüchtlingsintegration nachgedacht. Bausback hatte diese Woche ein Projekt gestartet, das Flüchtlingen Grundlagen des deutschen Rechtssystems vermitteln will: 800 Richter, Staatsanwälte und Rechtspfleger erteilen Asylbewerbern mit hoher Bleibeperspektive in Asylunterkünften und Schulen Rechtskunde; es gibt auch einen Erklärfilm, der im Internet abrufbar ist (http://dpaq.de/8RbkC). Die erste Unterrichtsstunde hielt der Minister selbst. Und meinte danach: „Wir sollten darüber nachdenken, daraus ein Pflichtprogramm zu machen.“

Integrationsangebote gibt es derzeit vor allem zur Sprachförderung und Berufsfindung. Das Sozialministerium nennt unter anderem das Projekt IdA Bayern Turbo, das jungen Asylbewerbern, unterstützt von der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft und der Arbeitsagentur, zu einem Ausbildungsplatz verhelfen will. An den Schulen gibt es Übergangsklassen und Deutschförderklassen, an den Berufsschulen bundesweit einzigartige Berufsintegrationsklassen.

Doch mit der reinen Freiwilligkeit dürfte es bald vorbei sein. Unter dem Motto „Fordern und Fördern“ steht das Projekt Integrationsgesetz, das die Staatsregierung aktuell erarbeitet. Ein Motto, hinter dem auch die Landtags-Opposition steht. Arif Tasdelen, integrationspolitischer Sprecher der SPD, fordert seit Längerem verpflichtende Intensivsprachkurse samt Wertevermittlung, ganztägig für ein halbes Jahr.

Derlei plant die Staatsregierung laut Martin Neumeyer mit dem Integrationsgesetz: Deutsch- und Integrationskurse für länger bleibende Migranten; wer nicht teilnimmt, muss mit Sanktionen rechnen, etwa mit Leistungskürzungen. Die Grüne Christine Kamm plädiert ebenfalls für Pflichtkurse. Allerdings, betont sie, „muss das Angebot stimmen, die Kurse müssen ausreichend sein und angemessene Qualität haben.“

Dass es jetzt schon Kapazitätsprobleme gibt, weiß auch Neumeyer (CSU), der für Bayern bereits ein Integrationsgesetz gefordert hatte, als das für die CSU noch ein rotes Tuch war. Zum Thema Pflichtkurse meint er: „Die Mehrheit ist willig, aber es gibt auch Unwillige.“ Neumeyer selbst favorisiert eine Kombination aus Sanktionen und Belohnungen. „Ich glaube, dass es ein schönes Zeichen wäre für jemanden, der sich besonders bemüht, wenn er beispielsweise Freikarten für ein Konzert, fürs Kino oder Schwimmbad bekommt“, sagt er. Allerdings stößt er mit dieser Forderung noch auf Ablehnung.

Bei aller überraschenden Einigkeit zwischen CSU und Opposition: Bei den Details zum Integrationsgesetz wird’s erneut krachen. Allein schon deshalb, weil die CSU bislang keine Anstalten macht, das Reizwort „Leitkultur“ aus dem Gesetzestext zu streichen. Doch auch bei anderen Oppositionswünschen sieht es düster aus: SPD und Grüne wollen eine Integrations-Enquetekommission im Landtag. Und SPD-Mann Tasdelen wie auch die Freien Wähler wünschen sich einen parteiunabhängigen Landesbeauftragten für Integration, der dem Landtag jährlich einen Rechenschaftsbericht gibt. Unsinn, meint CSU-Mann Neumeyer: Das führe nur zu „mehr Bürokratie“.

Doch das dürften Nebenkriegsschauplätze sein. Viel interessanter wird die Frage: Woher kommen Personal und Geld, um all die angedachten Pflichtprogramme für Zehntausende Flüchtlinge in die Tat umzusetzen? (Angelika Kahl, Waltraud Taschner)

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