Politik

Ein Aufsteller weist die Richtung zu Unisex-Toiletten. Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz wurden die „Gender-Karten“ vor knapp einem Jahr völlig neu gemischt. (Foto: dpa/Hannes P. Albert)

15.09.2025

Polarisierendes Selbstbestimmungsgesetz soll geändert werden

Der Union war das Regelungswerk immer ein Dorn im Auge, seit der Causa Liebich erst recht – jetzt gibt es einen Änderungsentwurf

Woraus ein Mann besteht und woraus eine Frau, war früher für viele Menschen selbstverständlich. Ein Mann hatte anerkanntermaßen einen anderen Organismus als eine Frau. Diese Selbstverständlichkeit gibt es nicht mehr. Mit dem neuen Selbstbestimmungsgesetz wurden die „Gender-Karten“ vor knapp einem Jahr völlig neu gemischt. Das Gesetz polarisiert bis heute. Derzeit steht in der Diskussion, es abzuändern.

Angestoßen wurden die aktuellen Diskussionen von Marla-Svenja Liebich, früher Sven Liebich, der seinen Vornamen und sein Geschlecht in „Frau“ umändern ließ. Im Vorfeld war Marla-Svenja Liebich wegen beleidigender Äußerungen gegenüber queeren Menschen aufgefallen.

Das Gesetz hat von Anfang an polarisiert

Im Juli 2023 wurde die Transfrau Liebich, damals noch als Mann, wegen Volksverhetzung, übler Nachrede und Beleidigung zu einer Freiheitsstrafe von eineinhalb Jahren verurteilt. Diese Strafe sollte sie dann im Frauengefängnis der JVA Chemnitz abbüßen. Zum Haftantrittstermin am 29. August war Liebich jedoch nicht erschienen.

Das Selbstbestimmungsgesetz untersagt es, einen Mann, der sich zur Frau erklärt hat, weiterhin als Mann zu behandeln. Die Transperson hat außerdem das Recht, mit ihrem neuen Namen angesprochen zu werden. Geschieht dies nicht, kann sie dagegen vorgehen.

Wie glaubwürdig die Umwandlung ist, steht nicht zur Debatte. Das am 1. November 2024 in Kraft getretene Selbstbestimmungsgesetz war vor allem der Union ein Dorn im Auge. Jetzt, mit Blick auf die Causa Liebich, erst recht. Änderungen sind geplant.

Am 11. Juni legte das CSU-geführte Bundesinnenministerium einen Referentenentwurf vor. Demnach sollen in Zukunft frühere Geschlechtseinträge und Vornamen dauerhaft erfasst und gespeichert werden. Das bayerische Innenministerium, ebenfalls CSU-geführt, begrüßt dies natürlich. Im Moment seien Identitäten nicht nachvollziehbar, sagt ein Ministeriumssprecher: „Ist eine Person in einem Register beispielsweise als Thomas Müller, männlich, gespeichert, wird sie mit einer Anfrage nach Sabine Müller, weiblich, nicht gefunden.“

Wie in der Presse über das Selbstbestimmungsgesetz berichtet und wie darüber öffentlich diskutiert wird, damit ist der LSVD+ Verband Queere Vielfalt nicht einverstanden. Die Debatten seien geprägt von „Unterstellungen von Missbrauch und Lächerlichmachung trans-, inter- und nichtbinärer Menschen“, sagt die Bundesvorsitzende Julia Monro der Staatszeitung. Der Fall Liebich ist für sie „Ausdruck dieses menschenfeindlichen Diskurses“. Die negativ angelegten Debatten ignorierten, welche „sehnsüchtig erwartete“ Erleichterung das Selbstbestimmungsgesetz vielen Menschen gebracht habe. Kritikern entgeht nach Ansicht des Verbands vor allem, als wie grausam manche Transpersonen bisher das Verfahren nach dem Transsexuellengesetz erlebten. So seien bei der früher vorgeschriebenen psychologischen Begutachtung teilweise diskriminierende Fragen gestellt worden.

Nach Angaben des Verbands gab es seit Inkrafttreten des neues Gesetzes rund 10.000 Verfahren zur Änderung des Geschlechtseintrags. Den Referentenentwurf zur Gesetzesänderung lehnt die Organisation ab. Was den heiklen Punkt der Inhaftierung von Transpersonen anbelangt, erläutert Julia Monro: „Inhaftierte Transfrauen sind in einer sehr vulnerablen Position, sie sind in Männergefängnissen konkret gefährdet.“

Bei Hilde Schwathe wiederum steigt der Blutdruck, hört sie „Selbstbestimmungsgesetz“. Hilde Schwathe ist Sprecherin der 2021 gegründeten Initiative „Geschlecht zählt“ mit Sitz in Bayern. Dass jeder Mann ad libitum seinen Geschlechtseintrag hürdenlos in „weiblich“ ändern kann, ist für sie ein Albtraum. Es sei egal, „ob es sich um einen Vergewaltiger, Mörder oder Pädokriminellen handelt, der sich Zugang zu Schutzräumen für Frauen verschaffen will“, beklagt sie. Die Union habe in ihrem Wahlprogramm versprochen, das Gesetz wieder abzuschaffen: „Viele Frauen und auch Männer wählten CDU und CSU ausschließlich für dieses Versprechen, das gebrochen wurde“, sagt Schwathe.

Mangels verlässlicher Quellen und exakter Zahlen ist es schwierig, die konkreten Auswirkungen des Selbstbestimmungsgesetzes zu eruieren. „Im bayerischen Justizvollzug befinden sich nur wenige transsexuelle Personen in Haft“, teilt das bayerische Justizministerium mit. Einer Sonderabfrage zufolge waren dies zum 1. Juli 2019 sechs von über 11 000 Inhaftierten. Neuere statistisch auswertbare Daten lägen dem Ministerium nicht vor.

Persönlichen Kontakt zu Menschen, die das Selbstbestimmungsgesetz in Anspruch nehmen, haben Standesbeamte. In Weilheim gab es 2024 insgesamt acht Anmeldungen einer Erklärung zur Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen sowie drei konkrete Erklärungen. Heuer erhöhte sich die Zahl auf bisher sieben Anmeldungen und neun Erklärungen. „Die Causa Liebich ist ein sehr spezieller Einzelfall mit überregionaler Aufmerksamkeit, vergleichbare Vorfälle sind der Stadt Weilheim nicht bekannt“, sagt Standesamtsleiter Thomas Buchner.

Eigene Haftabteilungen für Transmenschen

Während die einen gegen das Selbstbestimmungsgesetz rebellieren und die anderen ihre neuen Rechte verteidigen, zerbricht man sich hinter den Kulissen den Kopf darüber, wie man mit dem Gesetz umgehen kann, vor allem im Strafvollzug. Johann Endres vom Kriminologischen Dienst des bayerischen Justizvollzugs wirft die Frage auf, ob man LGBTIQ-Gefangene in spezialisierten Abteilungen unterbringen sollte. Nach seiner Ansicht könnte dies sinnvoll sein. Vor allem für Transgender-Gefangene, die im Männervollzug gefährdet, im Frauenvollzug aber nicht tragbar seien.

Nicht nur deutsche Experten und nicht nur die deutsche Regierung grübeln über sinnvolle Lösungen. Johann Endres verweist auf den Fall Adam Graham aus Schottland. Adam Graham wurde 2023 wegen zweier Vergewaltigungen von Frauen verurteilt. „Während seines Strafverfahrens begann er eine Geschlechtsanpassung, belegte einen Kosmetikkurs, änderte seinen Namen in ‚Isla Bryson‘ und identifizierte sich als Frau“, schildert Johann Endres. Dass er deshalb ins Frauengefängnis kam, habe zu heftigen Protesten geführt und womöglich mit zum Rücktritt der schottischen Premierministerin beigetragen. (Pat Christ)
 

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