Politik

Eine Hebamme kann die Geburtsvorbereitung ebenso wie die eigentliche Geburt erleichtern. (Foto: dpa/Shotshop/Monkey Business 2)

06.12.2025

Bayern: Schikanen ohne Ende für Geburtshelferinnen

Der neue Hebammenhilfevertrag ist gut gemeint, erzürnt aber die Betroffenen und führte schon zu ersten Kündigungen im Freistaat

Die Arbeit der Hebammen gehört zu den ältesten und wichtigsten Berufen. Doch das Leben wird ihnen seit Jahren immer schwerer gemacht. Dies gipfelt nun im Hebammenhilfevertrag, der am 1. November in Kraft trat. Wen auch immer man aus der freiberuflichen Hebammenszene fragt, bekommt zu hören: „Der Vertrag ist eine Katastrophe.“

Das sagt auch Mechthild Hofner aus Karlsfeld, die dem Bayerischen Hebammenverband vorsitzt. Öffentlich gab es bisher wenig Diskussionen über den neuen Vertrag, obwohl seine Auswirkungen wohl drastisch sein werden.

Laut Hofner zeigte der erste Monat, dass der Vertrag bei den rund 1000 bayerischen Beleghebammen zu Einkommenseinbußen von bis zu 30 Prozent führt. Viele Beleghebammen haben ihren Job schon an den Nagel gehängt, weitere planen dies: „In Bayern ist die flächendeckende, wohnortnahe geburtshilfliche Versorgung gefährdet.“ 30 Hebammenteams aus bayerischen Kliniken meldeten dem Verband soeben, das insgesamt schon 61 Beleghebammen gekündigt hätten. 79 Kündigungen stünden an.

Lukrative Hausbesuche

Über den Hebammenhilfevertrag hatten drei Hebammenverbände mit dem Spitzenverband der Krankenkassen (GKV-SV) verhandelt. Als der Hebammenverband drohende Verschlechterungen bei der Vergütung wahrnahm, erklärte er die Verhandlungen vor einem Jahr für gescheitert.

Der aktuelle Vertrag geht auf die Entscheidung einer auf Bundesebene eingesetzten Schiedsstelle zurück. Nach dem neuen Vertrag beträgt der reguläre Stundensatz von Beleghebammen nun 74 Euro. Der Hebammenverband hatte 88 Euro gefordert. Allerdings gibt es den Stundensatz nur theoretisch. Betreut eine Hebamme eine Gebärende, erhält sie lediglich 80 Prozent der 74 Euro. Betreut sie eine zweite und dritte Frau, erhält sie jeweils nur noch 30 Prozent.

Hebammen haben seit Langem mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, etwa damit, dass die Versicherungen enorm viel kosten und die Bürokratie ständig wächst, klagt Carola Dilger-Lott von der Hebammenpraxis Levana aus dem schwäbischen Günzburg. Die 41-Jährige arbeitet als Beleghebamme in der Günzburger Kreisklinik. „Der neue Hebammenhilfevertrag ist eine Schikane für uns“, sagt sie. Unterm Strich bedeute er, dass eine Hebamme, die eine Frau vor, während und nach der Geburt begleitet, nicht einmal mehr 60 Euro in der Stunde bekommt. Das gelte selbst bei Komplikationen: „Also, wenn ich ein Kind reanimieren muss.“ Ob sie künftig mit den Einnahmen angesichts ihrer hohen Ausgaben finanziell durchkommen kann, überblickt Carola Dilger-Lott derzeit nicht.

Sie und ihre Kolleginnen aus dem Günzburger Kreißsaal wollen die nächsten zwei bis drei Monate abwarten und dann eine Entscheidung treffen, ob sie bleiben oder gehen. Einträglich sind Carola Dilger-Lott zufolge nur noch Hausbesuche nach der Geburt. Für sie stelle sich jedoch die Frage, ob sie mit mehr Hausbesuchen die Einbußen bei den Einnahmen als Beleghebamme wird kompensieren können.

Plan B: Umschulung und eine berufliche Neuorientierung

Sollten finanziell alle Stricke reißen, denkt sie über eine Umschulung und eine berufliche Neuorientierung nach. Der Günzburgerin kommt es so vor, als ob man das Beleghebammenwesen zugunsten fest angestellter Hebammen in großen Kliniken eindämmen möchte.

Offiziell steckt hinter dem Hebammenhilfevertrag der Gedanke, dass jede Gebärende durchgehend von einer einzigen Hebamme betreut wird. Das klingt positiv, ist aber nicht realisierbar: „Realität ist, dass wir es, während wir eine Schwangere in der Klinik betreuen, immer wieder mit Notaufnahmen zu tun haben.“ Außer direkt im Geburtsverlauf, also in den zwei Stunden davor und danach, müsse die Betreuung öfter unterbrochen werden. Geschieht dies auch nur für wenige Minuten, ist der neue Eins-zu-eins-Betreuungsbonus von 105 Euro weg.

In der Bamberger Hebammerei wurde im Team kürzlich einvernehmlich entschieden: „Wir geben auf!“ Das hat nicht einmal direkt mit dem Hebammenhilfevertrag zu tun. „Aufgrund steigender Sozialversicherungs-, Haftpflicht-, Fortbildungs- und Betriebskosten bei gleichbleibender Vergütung standen wir vor finanziellen Schwierigkeiten bis hin zur existenziellen Bedrohung“, berichtet Hebamme Lucia Stanzel. Ab Januar werden also keine Frauen mehr betreut. Der neue Vertrag spielt indirekt in die Schließung hinein: „Damit steigert sich der bürokratische Aufwand ins Absurde.“

Absolut alles sei im Gegensatz zu früher durch den neuen Vertrag schlechter geworden, meint Hebamme Monika Wollenberg aus dem Geburtshaus Landshut. Freiberufliche Hebammen würden in sämtlichen Bereichen geschwächt: „Gerade die Situation der Beleghebammen ist tatsächlich katastrophal!“ Man müsse nun mehr Zeit aufwenden, um das Gleiche zu verdienen wie vorher. Selbst Wochenbettbesuche würden jetzt schlechter bezahlt, sofern sie weniger als 35 Minuten dauern. Seit sieben Jahren habe es schon keine Erhöhung der Gehälter mehr gegeben, beklagt Monika Wollenberg: „Welche Branche lässt sich das gefallen?“ Den neuen Vertrag empfinde das gesamte Team ihres Geburtshauses als „Schlag ins Gesicht“: „Damit wird unserer Meinung nach nicht einmal die Inflation ausgeglichen.“

Undurchsichtige Abrechnungssysteme

Als überaus problematisch sehen die Landshuter Hebammen das undurchsichtige Abrechnungssystem an. „Wir erwarten haufenweise Kürzungen aus Unwissen und Unsicherheit beider Seiten, das ist für uns existenzbedrohend.“ Carola Dilger-Lott aus Günzburg berichtet, dass bei ihr bereits „ein Haufen Beanstandungen“ eingingen.
Unterschriftenwahnsinn

Auch für Friederike Engelen, Hebamme aus dem Geburtshaus Bayreuth mutet das, was Hebammen durch den neuen Vertrag abverlangt wird, irrwitzig an. Unterschriften für Telefonberatungen sind für sie der Gipfel der Schikane. Nach einer intensiven Betreuung reiche meist eine telefonische Beratung aus. Dafür müsse nun ein Unterschriften-Dokument ausgedruckt, eingetütet und mit Rückumschlag und Rückporto verschickt werden. Die Unterschrift muss sowohl digital als auch per Post an die Abrechnungsstelle versandt werden: „Das Ganze für brutto 6,16 Euro.“

Friederike Engelen entschied für sich heuer, nur noch acht Monate lang als Hebamme zu arbeiten. Verständnis für die Situation der freiberuflichen Hebammen zeigt Emmi Zeulner, CSU-Bundestagsabgeordnete aus dem Wahlkreis Kulmbach. Um sich persönlich einen Eindruck zu verschaffen, begleitete sie unlängst ein Beleghebammenteam. Dabei erkannte sie, wie überbordend die verlangte Bürokratie tatsächlich ist: „Es geht einfacher!“ (Pat Christ)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2025

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2026

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 28.11.2025 (PDF, 16,5 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Passwort vergessen?

Geben Sie Ihren Benutzernamen oder Ihre E-Mail ein um Ihr Passwort zurückzusetzen. Bei Fragen wenden Sie sich bitte an: vertrieb(at)bsz.de

Zurück zum Anmeldeformular 

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Unser Bayern - Nachbestellen

Aktuelle Einzelausgaben der Beilage „Unser Bayern” können im ePaper der BSZ über den App-Store bzw. Google Play gekauft werden.