Politik

Das bayerische Ladenöffnungsgesetz lässt vier verkaufsoffene Sonntage im Jahr zu. In Berlin sind es zehn. (Foto: dpa)

20.06.2014

Schuften, wenn andere frei haben

Immer mehr Bayern arbeiten sonntags – Politiker fordern fraktionsübergreifend einen Sonntagsschutzbericht

"Diese Leute hier verstehen zu leben.“ Mit diesem Satz beendet Cora Rónai seinen Artikel in der brasilianischen Tageszeitung O Globo über das Leben in Königstein im Taunus, wo das brasilianische Team während der WM 2006 Quartier bezogen hatte. „Zeit ist hier nicht Geld. Zeit ist unendlich wertvoller“, schreibt Rónai. „Die Leute hier leben nicht so einen hysterischen Konsumrausch wie bei uns.  Wenn jemand am Feiertag etwas braucht, muss er halt warten, bis die Geschäfte wieder öffnen.“
Es mag ja sein, dass nicht jeder so euphorisch auf verschlossene Ladentüren regiert wie der brasilianische Reporter. Doch die Sonntagsruhe ist in Deutschland nicht nur ein hohes Gut, sondern auch per Grundgesetz geschützt. Ausgenommen sind Bereiche wie Medizin, Pflege, Gastgewerbe oder Sicherheit. Doch die Landtags-SPD schlägt jetzt Alarm: Rund 1,7 Millionen Menschen in Bayern arbeiten sonntags – etwa eine halbe Million mehr als 1991. Eine parlamentarische Anfrage von Fraktionschef Markus Rinderspacher ergab: Die Zahl der Ausnahmegenehmigungen für Sonntagsarbeit durch die Gewerbeaufsichtsämter ist von 2000 (4970 Anträge) bis 2012 (7756 Anträge) um 64 Prozent gestiegen. Dazu kommt: Fast alle Anträge auf Sondergenehmigungen werden bewilligt. Im Jahr 2012 wurden gerade mal 64 abgelehnt.
„Wir wollen die Kommerzialisierung des Sonntags nicht“, sagt Rinderspacher. „Menschen brauchen Ruheoasen – Zeit, um sich mit sich selbst, der Familie, Gott und der Welt beschäftigen zu können.“ Deshalb will er einen Antrag einbringen: Die Staatsregierung soll einen jährlichen Sonntagsschutzbericht vorlegen, der insbesondere auch darüber Aufschluss gibt, wie viele Menschen in Einzelhandel und Industrie sonntags arbeiten.
Die Forderung nach einem Sonntagsschutzbericht ist nicht neu. Das Bündnis Allianz für den freien Sonntag – eine kirchlich-gewerkschaftliche Initiative – will ihn seit Jahren. Allerdings ohne Erfolg. Der Allianz haben sich auch 66 Abgeordnete des Bayerischen Landtags angeschlossen. Unter den 23 CSU-Abgeordneten ist der Sozialpolitiker Hermann Imhof, der betont: Mit der Einführung des Sonntagsschutzberichts könnte man nicht nur den Umfang von Sonntagsarbeit feststellen, sondern auch „durch welche politischen Maßnahmen man Fehlentwicklungen entgegenwirken kann“. Und Fehlentwicklungen sieht auch er durchaus. Dem statistischen Bundesamt zufolge ist der Anteil der Beschäftigten im Handel, die sonn- und feiertags arbeiten, zwischen 1995 und 2012 um 69 Prozent gestiegen. „Dieser Trend trifft auch auf Bayern zu“, sagt Imhof. „Ein Indiz hierfür ist auch der Anstieg von kommunalen Shoppingevents, die von immer mehr bayerischen Gemeinden genehmigt werden.“

Geklüngel in den Ämtern?

Dabei ist die Rechtslage eigentlich klar: Das Bundesverfassungsgericht hat 2009 den arbeitsfreien Sonntag als Grundrecht gestärkt. Verkaufsoffene Sonntage im Einzelhandel sind demnach nur mit einem öffentlichen, nicht aber mit kommerziellem Interesse begründbar. Matthias Jena, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Bayern aber klagt: „Uns liegen Hinweise darauf vor, dass sich der Handel Hand in Hand mit einigen Kommunen selbst Gründe für eine Öffnung von Verkaufsstellen an Sonn- und Feiertagen schafft.“ Es würden künstliche Events geschaffen, ein Tag des Kunden hergezaubert oder eine Gewerbeschau veranstaltet. Oder ein lokaler Flohmarkt – wie in der mittelfränkischen Gemeinde Wörnitz. Dabei urteilte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof 2011, dass ein verkaufsoffener Sonntag unzulässig ist, wenn der als Anlass dienende Markt nur Alibifunktion hat.
 Einzelfälle? Laut der Allianz für den freien Sonntag keineswegs. Darüber könnte künftig der von der SPD gewünschte Bericht Aufschluss geben. Grüne und Freie Wähler im Landtag fordern ihn ebenfalls. Doch die interfraktionelle Einigkeit beeindruckt Arbeitsministerin Emilia Müller nicht. Das Ministerium unterstütze diese Forderung nicht, sagt ein Sprecher. Das etwas kuriose Argument: Nicht alle Sonn- und Feiertagsbeschäftigungen würden statistisch erhoben. „Ein jährlicher Sonntagsschutzbericht wäre deshalb nicht aussagekräftig.“ Genau das wollen die Befürworter des Berichts aber doch erreichen: die statistische Erfassung der Sonntagsarbeit in Bayern.

Ist das Sonntagsarbeitsverbot überhaupt noch zeitgemäß?

Im Arbeitsministerium will man ohnehin nichts von einer Zunahme wissen. Auch Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft betont, dass es einen Trend nach oben nicht gebe. Tatsächlich unterliegt die Zahl der Ausnahmegenehmigungen seit 2007 immer wieder Schwankungen. „Aber diese  gelten oft bis zu fünf Jahren“, sagt Hannes Kreller, der als Referatsleiter bei der katholischen Arbeiternehmerbewegung für die Allianz für den freien Sonntag zuständig ist. Er betont: „Die Summe macht’s.“
Das Forschungsinstitut Zukunft der Arbeit spricht bereits von einem Trend zu einer „24-Stunden-Gesellschaft“. Auch weil sich die Gesellschaft ändert. Ist das Sonntagsarbeitsverbot da überhaupt noch zeitgemäß? „Die Arbeit an Sonn- und Feiertagen soll grundsätzlich auf das erforderliche Maß beschränkt bleiben“, sagt Brossardt. Doch er ergänzt: „Die wachsende wirtschaftliche Zusammenarbeit im Rahmen internationaler Wertschöpfungsketten macht aber ein operatives Zusammenarbeiten über Zeitzonen und über bestehende Feiertagstraditionen hinweg erforderlich.“ Schließlich wolle man wettbewerbsfähig bleiben.
Aus rein ökonomischen Gründen möchte keine der Parteien das Sonntagsverbot aufweichen. Kerstin Celina, arbeitspolitische Sprecherin der Grünen, allerdings glaubt: „In seiner jetzigen Form ist das Sonntagsverbot am Ende seiner Zeit angelangt.“ Die Genehmigungspraxis müsse sich nach den Bedürfnissen der Menschen richten. Celina zeigt sich skeptisch, ob die am Ende bereit dazu seien, auf Annehmlichkeiten zu verzichten. Sie fordert deshalb die Entwicklung neuer Konzepte – für die Sicherung von Ruhepausen, Kinderbetreuung am Wochenende oder Alternativen zur Sonntagsmesse.
Das aber lehnen nicht nur alle anderen Fraktionen ab. Auch Arbeitsministerin Müller betont: „Wir müssen die Sonn- und Feiertage weiterhin schützen. Sie dienen der Besinnung und der Erholung und sind gerade für Familien wichtig.“
Kommt der brasilianischen Reporter Cora Rónai also bald auch einmal nach Bayern, er wäre wieder erfreut: „Diese Leute hier verstehen zu leben.“  (Angelika Kahl)

Kommentare (1)

  1. Zitrone am 20.06.2014
    Wenn das Arbeitsministerium keine Zahlen hat, woher will es dann wissen, das die Sonntagsarbeit nicht zugenommen hat? Und die Logik versteh ich auch nicht, ich habe keine Zahlen, also brauch ich nicht zu erheben und zu berichten? Quo Vadis CSV?
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