Der CSU-nahe Politologe Heinrich Oberreuter (74) hat unzählige CSU-Parteitage begleitet, er ist noch immer bestens vernetzt. Und spricht gern Klartext. Bei Finanzminister Markus Söder hat er kürzlich für Stirnrunzeln gesorgt, weil er dessen Weigerung, nach Berlin zu gehen, als Fehler rügte. Wir sprachen mit Oberreuter über seine Eindrücke vom kürzlichen Parteitag und den Kurs von Parteichef Horst Seehofer.
BSZ: Herr Oberreuter, fanden Sie den Parteitag auch so fad? Wochenlang hat Horst Seehofer in Richtung Berlin gepoltert, und jetzt war er plötzlich ganz zahm.
Heinrich Oberreuter: In der Tat hat sich beim Parteitag vergangenes Wochenende recht wenig ereignet. Allerdings ist die Strategie der Beruhigung und Konfliktvermeidung, die Seehofer jetzt eingeschlagen hat, notwendig: Kommendes Jahr ist Bundestagwahl. Da sind die C-Parteien aufeinander angewiesen, wenn sie die schmerzhafte Oppositionsrolle in Berlin vermeiden wollen – es bringt der CSU also nichts, weiter den Konflikt zu schüren. Eine ganz andere Frage ist allerdings, ob Seehofers Beruhigungsstrategie innerparteilich verfängt.
BSZ: Weil die CSU-Basis immer noch sauer ist wegen Merkels Flüchtlingspolitik?
Oberreuter: Ja. Seehofers Zoff mit Merkel war ja nicht substanzlos. Da ging es um Einstellungen, die sowohl in der CSU und übrigens auch in Teilen der CDU als auch innerhalb der Bevölkerung insgesamt sehr weit verbreitet sind. Es geht um innere Sicherheit, kulturelle Identität und soziale Verträglichkeit. Die Ängste der Bürger auf diesen Feldern haben das Erstarken der AfD überhaupt erst ermöglicht. Seehofer hat auch deshalb so zugespitzt, weil er der AfD das Futter nehmen wollte. Und er hat sich ja in der Flüchtlingspolitik in Berlin weitgehend durchgesetzt. Allerdings ist das bei der Basis noch nicht so angekommen. Rätselhafterweise verzichtet er nämlich drauf, zu sagen: Wir haben gesiegt. Die Frage ist jetzt, wie das im Wahlkampf verkauft wird.
BSZ: Die CSU hat angekündigt, mit der Forderung nach einer Flüchtlings-Obergrenze in den Wahlkampf zu ziehen: ohne Obergrenze keine Koalition mit der CDU. Was soll das?
Oberreuter: Das ist Symbolpolitik. Die Beibehaltung dieser Forderung ist weitgehend substanzlos geworden, weil Merkel durchaus Konsequenzen gezogen hat: Die Flüchtlingszahlen sind wegen des Türkei-Deals und der Schließung der Balkanroute drastisch gesunken. Aber Seehofers Beharren auf einer Obergrenze hat der CSU Profil verliehen, sie konnte sich dadurch als stabiler konservativer Faktor präsentieren. Man sieht das zum Beispiel daran, dass bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz im März 71 Prozent der AfD-Wähler sagten: Wenn die CSU dort angetreten wäre, hätten sie erwogen, die CSU zu wählen. Bei den Wahlen in Baden-Württemberg und in Sachsen-Anhalt am gleichen Tag sagten das über 50 Prozent der AfD-Wähler. Und bei der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern hätten 24 Prozent der Gesamtwähler unter Umständen CSU gewählt.
BSZ: Und wenn die CDU wirklich nicht nachgibt beim Begriff Obergrenze?
Oberreuter: Beide werden nicht nachgeben, zugleich aber verdeutlichen, dass sie sich in der Begrenzungsabsicht einig sind. Und bei den Bayern steht die Obergrenze im Wahlprogramm.
BSZ: Ausgeblieben ist beim Parteitag nicht nur das Merkel-Bashing, sondern auch die Klärung der Frage, wer nach Berlin gehen soll. War es eine gute Idee von Seehofer, das Thema frühzeitig auf die Agenda zu setzen?
Oberreuter: Nein. Das Ganze wäre bestenfalls Ergebnis eines längerfristigen Diskurses innerhalb der CSU gewesen. Immerhin aber muss man anerkennen, dass er sich bislang als einziger der Parteivorsitzenden Gedanken über die Zusammensetzung des Bundestags nach der Wahl 2017 gemacht hat. Voraussichtlich wird das ein Sieben-Parteien-Parlament sein, in dem die AfD sitzt. Da ist es schon angebracht, neu nachzudenken über Führungs-, Koalitions- und Stabilitätsfragen – und auch über die Sichtbarkeit einer kleineren Partei in der neuen Vielfalt.
BSZ: Die Stärksten sollen nach Berlin, sagt Seehofer. Wäre es nicht sein Job gewesen, dafür zu sorgen, dass dort jetzt schon gute Leute sitzen?
Oberreuter: Dass die CSU in Berlin zu wenig sichtbar ist, das ist auch eine Folge von Seehofers Fehleinschätzung. Er wollte mit der gleichen Zahl an Ministerien aus den Verhandlungen über die große Koalition herauskommen wie zuvor in der kleinen. Die CSU hat kein einziges Schlüsselressort wie Inneres oder Finanzen, dafür mit Verkehr, Agrar und Entwicklungshilfe drei Nebenministerien, in denen man nicht unbedingt für Aufsehen sorgt. Da wäre es besser gewesen, besondere Wichtigkeit und Sichtbarkeit zu erkämpfen und auf ein kleines Ressort zu verzichten.
BSZ: Was halten Sie davon, Parteivorsitz und Ministerpräsidentenamt zu trennen?
Oberreuter: Vor dem Hintergrund eines wahrscheinlichen Sieben-Parteien-Parlaments lässt sich darüber mit Recht nachdenken. Es ist sinnvoll, in Berlin deutlicher wahrgenommen zu werden. Andererseits ist es nie falsch, die zwei Ämter in einer Hand zu haben: weil dann die Führungslinie geschlossen ist. Aber in der Geschichte der CSU gibt es durchaus Beispiele dafür, dass eine Ämtertrennung funktioniert hat – wenn die Umstände stimmten. Bei Strauß und Goppel lange Zeit, bis der Parteivorsitzende Strauß kein Regierungsamt in Bonn mehr hatte und das Ministerpräsidentenamt in München an sich bringen wollte. Und bei Stoiber-Waigel hat der Verlust des Finanzministeriums im Bund die Dynamik des Ministerpräsidenten befeuert, die ganze Macht in seine Hand zu nehmen.
BSZ: Beim Parteitag hat Seehofer auf seine Führungs- und Richtlinienkompetenz als Parteichef verwiesen. Wenn er nächstes Jahr als Parteivorsitzender abtritt, gibt er also viel Macht aus der Hand.
Oberreuter: Allerdings. Das wird vor allem dann interessant, wenn Seehofer, wovon ich ausgehe, auch nach 2018 Ministerpräsident bleibt.
BSZ: Dann müsste er tun, was der neue Parteivorsitzende mit seiner Richtlinienkompetenz anschafft?
Oberreuter: So wäre es im generellen politischen Feld. Die engere Amtsverantwortung bleibt natürlich unberührt.
BSZ: Seehofer hat immer gesagt, er werde 2018 aufhören.
Oberreuter: Er hat immer gesagt: unter den jetzt gegebenen Umständen. Die von ihm organisierte Nachfolgedebatte könnte auch dazu dienen, die eigene Position zu stärken: Zeichnen sich unüberbrückbare Konflikte ab, läge der Gedanke nahe, alles zu lassen, wie es ist.
BSZ: Sie haben Markus Söders Weigerung, nach Berlin zu gehen, als falsch kritisiert. Sollte Söder umdenken, kann er das überhaupt noch glaubwürdig rüberbringen?
Oberreuter: Söder ist in einer schwierigen Situation. Grundsätzlich wäre es schon möglich, einen Schwenk zu vollziehen: dann, wenn Merkel ihre Kanzlerkandidatur verkündet und die Ungewissheit ihr Ende findet. Ich gehe davon aus, dass sie das im Dezember tun wird, nachdem sie beim CDU-Parteitag mit einem sehr guten Ergebnis als Parteivorsitzende wiedergewählt wird. Söder könnte dann natürlich sagen, er habe die neue Situation überdacht, zum Wohl der CSU. Ich halte das aber für unwahrscheinlich.
BSZ: Warum?
Oberreuter: Weil er von seiner Position und Leistungsfähigkeit zutiefst überzeugt ist und in seinem näheren Umfeld wohl auf Bestätigung trifft.
BSZ: Wer wird dann Parteichef? Joachim Herrmann? Der würde Seehofer das Leben wohl nicht so schwer machen wie ein Parteichef Söder.
Oberreuter: Wir wissen ja derzeit überhaupt nicht, was wann geschieht. Aber würde es Hermann, und bliebe Seehofer im Amt, wäre gerade nach der Vorgeschichte das Verhältnis sicher kooperativer.
(Interview: Waltraud Taschner)
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