Politik

Eike Hallitzky hat im nächsten Jahr Großes vor: Eine 14 000-Kilometer-Radtour bis ans Nordkap. (Foto: Simona Kehl)

01.04.2021

"Söder kapert jedes Thema, wenn's ihm nutzt"

Der scheidende Grünen-Landeschef Eike Hallitzky über den Wandel seiner Partei, das Versagen der deutschen Corona-Politik und eine lernunfähige CSU

Nach sechseinhalb Jahren an der Parteispitze zieht sich Eike Hallitzky (61) als Chef der bayerischen Grünen zurück. Beim digitalen Parteitag am 17./18. April kandidiert er nicht mehr für den Posten. Einziger Kandidat für seine Nachfolge bislang: Thomas von Sarnowski aus Ebersberg. Hallitzky, der früher auch im Landtag von allen Seiten als Finanzexperte geschätzt war, bleibt der Politik aber erhalten: im Gemeinderat und Passauer Kreistag.

BSZ Herr Hallitzky, haben Sie kapituliert? Als Sie zum Chef der bayerischen Grünen gewählt wurden, gaben Sie das Ziel aus, die CSU in die Opposition zu schicken –  aber jetzt regieren die Schwarzen immer noch.
Eike Hallitzky Wir sind doch auf dem besten Weg, die CSU in die Opposition zu schicken. In den sechseinhalb Jahren, in denen ich Parteivorsitzender gewesen bin, hat sich die Mitgliederzahl der bayerischen Grünen mehr als verdoppelt. Ich habe gegeben, was ich geben konnte. Und jetzt ist es gut. Für mich und auch für die Partei. Ich muss nicht die Früchte ernten, wenn wir in die Regierungsverantwortung kommen. Das Ackern war eine ganz tolle Zeit – und es gab ständig Früchte.

BSZ Welche Frucht war denn besonders süß?
Hallitzky Die Hauptbotschaft, die wir 2014 ausgegeben hatten, hieß: Grün pur. Das war die Aufforderung, uns nicht mehr an Macht- und Farbenspielchen zu beteiligen, sondern mit unseren Themen zu punkten. Denn unsere Agenda war ja immer richtig. Die Themen gesellschaftlicher Zusammenhalt, Klimaschutz und Artenvielfalt haben die Leute schon 2013 berührt. Bei der Landtagswahl aber konnten wir das nicht in Prozente umwandeln. Der damalige Ansatz, sich mit Ude und Aiwanger zu verbünden, war völlig falsch. Und statt unseren Gestaltungswillen zu demonstrieren, waren wir viel zu sehr im Protest verfangen. Das hat sich stark verändert, gerade im Landtagswahlkampf 2018. Hier im entscheidenden Team mit dabei gewesen zu sein, sehe ich als meinen größten Erfolg an.

BSZ Das Desaster für die Grünen bei der Landtagswahl 2013 war aber doch auch der unsinnigen Debatte um einen Veggieday geschuldet.
Hallitzky Ich glaube nicht, dass das der ausschlaggebende Punkt war. Der Punkt ist, dass wir zeigen müssen, dass wir Regierungsverantwortung übernehmen können. Und dass wir optimistisch sind, bei der Klimakrise die Kurve zu kriegen und den klaren politischen Willen dafür haben. Das machen wir heute. Und deshalb glaube ich, kommen die Menschen, die sich um das Klima und die Demokratie sorgen, heute zu uns. Weil sie sehen, dass wir die Partei sind, die wirklich etwas verändern will.

BSZ Nicht alle sehen das so. Junge Klimaaktivisten monieren, dass die Grünen zu bürgerlich und nicht radikal genug sind. Haben sie recht?
Hallitzky Klima- und Artenschutz ist kein Nice-to-have, das man irgendwann mal machen kann. Deshalb verstehe ich total, wenn Jugendliche sagen, dass sie alles dafür tun, dass wir ihnen keine kaputte Welt hinterlassen. Ob Fridays for Future, Bund Naturschutz oder Extinction Rebellion – wir ziehen am gleichen Strang in die richtige Richtung. Wir haben aber unterschiedliche Rollen. Die Aktivist*innen sind die außerparlamentarische Bewegung, die der Politik und Gesellschaft völlig zu Recht Beine machen will. Wir dagegen müssen gesellschaftliche Mehrheiten für eine vernünftige Klimapolitik finden.

BSZ Aber Ihnen könnte mit den jungen Aktivist*innen auch eine politische Konkurrenz erwachsen. Bei der Landtagswahl in Baden-Württemberg hat die neue Partei Klimaliste die Grünen herausgefordert. Macht Ihnen das Sorge?
Hallitzky In Bayern gibt es die Klimaliste auch, bislang aber konnte sie noch keine sonderliche Resonanz erzeugen. Und in Baden-Württemberg hat Fridays for Future zur Wahl der Grünen aufgerufen. Aber: never say never. Stellen wir nach der Wahl die Bundeskanzlerin oder den Bundeskanzler und würden dann keine vernünftige Politik durchsetzen, könnte uns hier vielleicht Konkurrenz erwachsen. Aber nur dann. Und natürlich werden wir unsere Ziele in einer Regierung umsetzen.

"Bei den erneuerbaren Energien oder beim Schienenausbau – nirgendwo handelt Söder"

BSZ Wo wäre dort die rote Linie?
Hallitzky Eine rote Linie zu definieren, ergibt keinen Sinn. Die hatten wir auch nicht beim Sondierungsgespräch mit der CSU nach der Landtagswahl 2018. Die CSU hatte aber eine: Sie wollte auf keinen Fall mit den Grünen regieren.

BSZ Heute scheint das anders. Söder bezeichnet den Klimawandel als wichtigstes Thema neben Corona und nennt Schwarz-Grün ein spannendes Zukunftsteam. Wäre es das?
Hallitzky Söder kapert doch jeden Begriff, wenn es ihm nutzt. Aber was passiert tatsächlich? Nichts. Bei den erneuerbaren Energien nicht, beim Schienenausbau nicht – nirgendwo handelt er.

BSZ Ein Kanzler Söder wäre für Sie also kein potenzieller Partner?
Hallitzky Die Frage stellt sich nicht, weil wir die Kanzlerschaft wollen. Und wie gesagt: An Farbenspielen beteiligen wir uns nicht. Und bevor Sie fragen: Ob Annalena Baerbock Kanzlerkandidatin oder Robert Habeck Kanzlerkandidat wird, das werden die beiden selbst entscheiden. Beide sind kanzlerabel. Ich finde es ziemlich peinlich, wie bei der Union Laschet und Söder versuchen, sich gegenseitig immer wieder mit kleinen Fouls auszumanövrieren. Selbst bei den Ministerpräsident*innen-Konferenzen zu Corona. Da geht es doch ohnehin nur noch um die Frage, wie man sich durchsetzen und bella figura machen kann. Meiner Meinung nach gehört dieses für die Corona-Politik völlig untaugliche Gremium komplett abgeschafft. Stattdessen sollten Bundestag und Bundesrat darüber entscheiden.

"Dass die CSU jetzt angesichts der früheren und aktuellen Skandale auf die Schnauze fällt, gönne ich ihr"

BSZ Den strengen Corona-Kurs von Söder aber finden die Grünen doch gut.
Hallitzky Wir sind beim Ziel einer Meinung: Wir wollen die Pandemie eindämmen. Und dazu braucht es einen strikten Kurs. Aber es zeigt sich doch mittlerweile, wie unfähig die Staatsregierung ist. Sei es bei der Digitalisierung der Gesundheitsämter oder beim Testen. Wir kritisieren nicht das Ziel, sondern das Fehlen einer klaren Strategie.

BSZ Haben Sie einen Tipp an Ihren Nachfolger als Grünen-Chef?
Hallitzky Als Landesvorsitzender musst du immer die Interessen der Partei im Auge haben, nie deine eigenen. Aber vielleicht werde ich diesen Tipp auch für mich behalten, weil er so banal ist. Zumindest für uns Grüne. Bei der CSU bin ich mir da nicht sicher. Dass sie angesichts der früheren und aktuellen Skandale jetzt auf die Schnauze fällt, gönne ich ihr.

BSZ Glauben Sie, dass die Maskenaffäre der CSU wirklich nachhaltig schadet? Bislang hat sie Skandale immer ziemlich gut überstanden.
Hallitzky Ja, aber gerade jetzt in der schwierigen Situation der Corona-Krise machen die Wähler*innen das nicht mehr mit. Alle erkennen doch nun: Die CSU ist nicht lernfähig.

BSZ Welche Pläne haben Sie nach Ihrem Rückzug als Parteichef?
Hallitzky Für mich ist das ja kein Abschied aus der Politik. Ich sitze weiterhin im Gemeinderat und bin Fraktionsvorsitzender im Kreistag. Aber ich habe mir jetzt ein E-Bike gekauft und eine 14 000-Kilometer-Radtour zum Nordkap geplant, kreuz und quer über Polen und Russland. Eigentlich wollte ich diesen Sommer los. Wegen Corona ist das jetzt auf nächstes Jahr verschoben.
(Interview: Angelika Kahl)

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