Politik

Nach Renteneintritt steuerfrei etwas dazuverdienen: Das soll die Aktivrente ermöglichen – allerdings nur für Angestellte. (Foto: dpa/CHROMORANGE/Michael Bihlmayer)

14.12.2025

Steuervorteil für Auserwählte: Die Aktivrente schließt nicht nur Freiberufler aus

Über 100 000 Unterzeichner sprechen für sich: Der Unmut von Selbstständigen wegen der neuen Aktivrente ausschließlich für Angestellte ist riesig. Durch eine Petition wollten Mitglieder von 44 Berufsverbänden das Gesetz stoppen. Vergeblich. Am 5. Dezember hat es der Bundestag verabschiedet

Über 100 000 Unterzeichner sprechen für sich: Der Unmut von Selbstständigen wegen der neuen Aktivrente ausschließlich für Angestellte ist riesig. Durch eine Petition wollten Mitglieder von 44 Berufsverbänden das Gesetz stoppen. Vergeblich. Am 5. Dezember hat es der Bundestag verabschiedet.

Konkret bedeutet dies, dass Selbstständige und Freiberufler nach dem Renteneintrittsalter um einen Steuervorteil von bis zu 920 Euro monatlich gebracht werden. Wer fest angestellt in einem Produktionsbetrieb oder Büro tätig war und nach der Rente weitermacht, kann künftig 2000 Euro pro Monat steuerfrei dazuverdienen. Freiberuflichen Autoren, Musikerinnen, Psychologen, Heilpraktikerinnen und vielen anderen wird dieses Privileg verweigert.

Für den Münchner Texter Robert Botz ist das nicht nachvollziehbar. „Viele Selbstständige sorgen privat fürs Alter vor, zahlen freiwillig in die Rentenversicherung ein oder tun sogar beides“, meint er. Warum werden sie nun im gesetzlichen Rentenalter höher besteuert als andere?

Dass ein Angestellter nach dem Renteneintritt zum Beispiel als Hausmeister oder Küchenkraft 2000 Euro im Monat steuerfrei dazuverdienen kann, ein freier Psychologe aber nicht, findet auch Christian Lorenz absolut unfair. Der Saarländer engagiert sich im Berufsverband Deutscher Psychologeinnen und Psychologen für freiberufliche Psychologen bundesweit. Angesichts der Tatsache, dass Therapieplätze fehlen, wäre es wichtig, dass freie Psychologen im Rentenalter weiterarbeiten, sagt er. Mindestens ein Viertel aller Kammermitglieder sei aktuell älter als 60 Jahre. Durch eine Aktivrente könnte man sie motivieren, ihre Expertise nach dem Renteneintritt weiter einzubringen.

Besonders harsche Kritik an der Ausgrenzung von Selbstständigen aus der Aktivrente kommt vom Verband der Gründer und Selbstständigen (VDGS), der die Petition am 14. Oktober startete.

Krasse Diskriminierung

Im Gesetz werde argumentiert, dass Selbstständige im Alter meist sowieso weiterarbeiteten, erklärt der Vorsitzende des Verbands der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD), Andreas Lutz: „Das ist zynisch.“ Viele müssten arbeiten, schlicht, weil sie nicht genug Rücklagen bilden konnten. Die Diskriminierung durch die verweigerte Aktivrente sei unfassbar.

Die Aktivrente ist nicht zuletzt deshalb ein Schlag ins Gesicht von Freiberuflern und Selbstständigen, weil viele jeden Cent umdrehen müssen und kaum ein paar Euro auf der hohen Kante zur Verfügung haben. Das gilt vor allem für die Kreativbranche. „Das durchschnittliche Arbeitseinkommen aus einer selbstständigen künstlerischen Tätigkeit liegt bei 14 500 Euro im Jahr“, sagt Henriette Droß-Duplancic, Geschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Tanzpädagogik. Altersarmut sei die Folge. Ihr Verband sieht in der neuen Aktivrente eine „Diskriminierung des Kulturstandorts Deutschland“.

Die Ausgrenzung aus der Aktivrente fällt in eine Zeit, in der freiberufliche Kultur und Bildung ohnehin massiv gefährdet sind, erklärt Martin Pause aus Rohrbach an der Ilm, Landesvertreter des Bundesverbands der Freien Musikschulen. Über ihnen schwebt just ein existenzbedrohendes Damoklesschwert. Es könnte sein, dass alle freiberuflichen Musikschullehrer ab 2027 als scheinselbstständig gelten. Sogar, wenn sie an verschiedenen Schulen arbeiten. Der neuen Definition zufolge soll jeder als scheinselbstständig gelten, der in einen Betrieb eingebunden ist.

Selbstständige gehören jenem Teilbereich der Wirtschaft an, der gern übersehen wird, meint Antje Molz, freiberufliche Kulturmanagerin aus Würzburg und Vizepräsidentin des Bayerischen Landesverbands der Kultur- und Kreativwirtschaft. Die verweigerte Aktivrente verschärft nach ihrer Beobachtung die ökonomische Situation gerade von Soloselbstständigen.

Aktivrente wäre "hochattraktiv"

Für sie persönlich wäre eine Aktivrente hochattraktiv: „Als Vollselbstständige werde ich mit dem Renteneintrittsalter die Hände nicht in den Schoß legen.“ Würde sie eine Aktivrente bekommen, würde sie reduziert weiterarbeiten und sich gleichzeitig Ehrenämter leisten können. Viele Kreative argumentieren ähnlich, wobei sich auch Freiberufler aus der Gesundheitsszene dem Protest anschließen.

Nirgendwo in der Szene der Selbstständigen wird man auch nur andeutungsweise Lob für das neue Rentenpaket herausklingen hören. Auch der Deutsche Fachjournalisten-Verband ist verärgert. Durch das neue Gesetz werden künftig zwei Kollegen im Rentenalter dieselbe journalistische Arbeit bei vollkommener steuerlicher Ungleichbehandlung leisten, so Pressereferentin Friederike Schwabel. Beide schreiben Fachartikel, recherchieren Dossiers oder moderieren: der angestellte Fachjournalist für steuerfreie 2000 Euro im Monat. Der Freiberufler muss für jeden Einkommenseuro Steuern zahlen.

Während Journalistinnen und Journalisten über anhaltende Auftragseinbußen klagen, weisen Unternehmer darauf hin, dass mittlerweile jeder Tag mindestens eine neue Konkurseröffnung bringt. Weil die wirtschaftliche Situation für Selbstständige auch aus politischen Gründen immer schwieriger werde, sei ihr Anteil an allen Erwerbstätigen in den letzten 15 Jahren „besorgniserregend geschrumpft“, sagt Franz Grömping. Er leitet die Arbeitgebervereinigung für Unternehmen aus dem Bereich EDV und Kommunikationstechnologie. Die Ungleichbehandlung von Selbstständigen durch die Aktivrente bezeichnet sein Verband als „volkswirtschaftlich desaströs“. (Pat Christ)

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