Politik

Elf Staaten des Schengenraums hatten zuletzt wieder Grenzkontrollen eingeführt – darunter auch Deutschland. (Foto: dpa/Titel)

19.06.2025

Versprechen gebrochen - 40 Jahre Schengen: Comeback der Grenzkontrollen

Kaum ein Abkommen wurde einst so gefeiert wie die im Juni 1985 unterzeichnete Übereinkunft von Schengen. Sie sollte in einem damals durch den Eisernen Vorhang geteilten Europa zumindest Teile Westeuropas durch offene Binnengrenzen enger zusammenwachsen lassen. Doch vier Jahrzehnte später scheint Schengen in weiten Teilen Makulatur. Die Staatszeitung zeigt, welche Staaten außer Deutschland wieder kontrollieren und warum

Kaum ein Abkommen wurde einst so gefeiert wie die im Juni 1985 unterzeichnete Übereinkunft von Schengen. Sie sollte in einem damals durch den Eisernen Vorhang geteilten Europa zumindest Teile Westeuropas durch offene Binnengrenzen enger zusammenwachsen lassen. Doch vier Jahrzehnte später scheint Schengen in weiten Teilen Makulatur. Die BSZ beantwortet die wichtigsten Fragen rund um das Abkommen.

Wie entstand das Schengener Abkommen?
Am 14. Juni 1985 unterzeichneten die Bundesrepublik, Frankreich, die Niederlande, Belgien und Luxemburg das Übereinkommen von Schengen. Am 26. März 1995 setzten sieben Staaten – Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Spanien – das Schengener Durchführungsübereinkommen in Kraft.

Was regelt die Übereinkunft und in welchen Ländern gilt sie?
Das Abkommen sieht unter anderem die Abschaffung der Personenkontrollen an den Binnengrenzen vor. Mittlerweile gehören dem Schengenraum 29 Länder an. Darunter sind 25 der 27 EU-Mitgliedsstaaten sowie die Nicht-EU-Mitglieder Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. Irland ist auch aufgrund des Nordirlandkonflikts nicht beigetreten. Zypern befindet sich in einem Evaluierungsprozess und hat weiterhin Grenzkontrollen. Kroatien kam 2023 im Rahmen der jüngsten Erweiterung des Schengenraums hinzu.
Bulgarien und Rumänien wurde wegen Sicherheitsbedenken seitens Brüssels lange die Mitgliedschaft verweigert. Seit Januar sind beide Staaten Vollmitglieder. Würden nicht diverse Staaten von Ausnahmeregelungen Gebrauch machen, könnten über 400 Millionen Menschen zwischen Mitgliedstaaten reisen, ohne Grenzkontrollen zu durchlaufen. Das Abkommen sieht neben dem Fall der Kontrollen auch eine engere Zusammenarbeit der Strafverfolger vor.

Was würde laut Schengen eigentlich für Deutschland gelten?
Während die EU-Außengrenzen durchgehend kontrolliert werden, sind Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraums nur in Ausnahmefällen zulässig. An den deutschen Grenzen dürfte es also keine Passkontrollen mehr geben.

Welche Ausnahmen sieht das Abkommen vor?
Der Grenzkodex gestattet es den Mitgliedstaaten,unter bestimmten Umständen zeitlich befristete Kontrollen an Binnengrenzen einzuführen. Ab 2015 machten einzelne Schengenstaaten von dieser Möglichkeit Gebrauch. Deutschland etwa begründete in jenem Jahr temporäre Grenzkontrollen zu Österreich mit dem starken Anstieg der Flüchtlingszahlen; die Kontrollen wurden seither ein ums andere Mal verlängert.
Prinzipiell kann jeder Schengenstaat Grenzkontrollen einseitig anordnen. Jedenfalls dann, wenn die durch das Abkommen eng gefassten Ausnahmesituationen wie eine ernsthafte Bedrohung der Sicherheit vorliegen. Die Binnengrenzkontrollen müssen bei der EU-Kommission angemeldet werden. In Deutschland entscheidet formell das Bundesinnenministerium, ob es Grenzkontrollen anordnet.

Wer hat Kontrollen eingeführt? Und wie werden sie gerechtfertigt?
Die Bundesrepublik ist nicht das einzige Schengenmitglied, das wieder Grenzkontrollen eingeführt hat. Anfang Juni hatten elf Staaten Kontrollen an allen oder einem Teil ihrer Grenzen bei der EU angemeldet. Neben Deutschland sind dies: die Niederlande, Österreich, Slowenien, Spanien, Dänemark, Frankreich, Norwegen, Schweden, Bulgarien und Italien. Diverse Länder begründen diesen Schritt mit einer Terrorismusgefahr sowie einer noch immer großen Zahl an einreisenden Flüchtlingen.
Mitgliedstaaten können beim Vorliegen „einer ernsthaften Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder der inneren Sicherheit“ vorübergehend ohne Zustimmung der EU Kontrollen an ihren Grenzen anordnen. Kontrollen an den Binnengrenzen sollen das „letzte Mittel“ sein.

Welche Kontrollen gab es bislang in Deutschland?
An der österreichischen Grenze werden seit 2015 Kontrollen durchgeführt. Im Oktober 2023 führte die Bundesregierung dann Kontrollen an den Grenzen zu der Schweiz, Polen und Tschechien ein.
Anfang September 2024 ordnete das Bundesinnenministerium an, neben der Landgrenze zu Frankreich künftig auch die Grenzen zu den Niederlanden, Luxemburg, Dänemark und Belgien zu kontrollieren. Seit dem 16. September 2024 sind demnach an allen deutschen Landgrenzen vorübergehende Grenzkontrollen möglich – die bei der Europäischen Kommission gemeldeten Maßnahmen waren zunächst auf ein halbes Jahr befristet, wurden jedoch bereits bis September verlängert.
Zudem wurden in der Bundesrepublik im Rahmen der Gefahrenabwehr in Grenznähe innerhalb eines Radius von 30 Kilometern im Landesinneren stichprobenartig Personen- und Fahrzeugkontrollen durchgeführt. Diese Schleierfahndung gilt als sehr effektiv.

Wie begründet Deutschland die Grenzkontrollen?
Das Innenministerium begründet die vorübergehende Anordnung von Grenzkontrollen mit „ernsthaften Bedrohungen für die öffentliche Sicherheit und Ordnung durch das anhaltend hohe Ausmaß irregulärer Migration und der Schleuserkriminalität sowie der Belastung für das Asylsystem“. Der Bund argumentiert gegenüber Brüssel auch mit der durch den Krieg in der Ukraine und die Eskalation im Nahen Osten veränderten Sicherheitslage.

Wie fällt die Bilanz aus?
Von September 2024 bis Ende Mai dieses Jahres registrierte die Polizei nach eigenen Angaben rund 37.000 unerlaubte Einreisen. Fast 25.000 Migranten sind nach Angaben der Behörde zurückgewiesen worden. In diesem Zeitraum nahm die Polizei fast 1000 Schleuser fest und vollstreckte über 6000 Haftbefehle.
(Tobias Lill)

Kommentare (0)

Es sind noch keine Kommentare vorhanden!
Die Frage der Woche
X
Vergabeplattform
Vergabeplattform

Staatsanzeiger eServices
die Vergabeplattform für öffentliche
Ausschreibungen und Aufträge Ausschreiber Bewerber

Jahresbeilage 2024

Nächster Erscheinungstermin:
28. November 2025

Weitere Infos unter Tel. 089 / 29 01 42 54 /56
oder
per Mail an anzeigen@bsz.de

Download der aktuellen Ausgabe vom 29.11.2024 (PDF, 19 MB)

E-Paper
Unser Bayern

Die kunst- und kulturhistorische Beilage der Bayerischen Staatszeitung

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.

Abo Anmeldung

Benutzername

Kennwort

Bei Problemen: Tel. 089 – 290142-59 und -69 oder vertrieb@bsz.de.