Politik

Jugendliche einer Straßenmusik-Gruppenfahrt der katholischen Jugendstelle in der Nürnberger Fußgängerzone. (Foto: Daniel Karmann/dpa)

21.08.2019

Was die katholische Kirche am Umbau hindert

Besser, offener, näher an den Menschen: Die katholische Kirche in Bayern will sich nach immer mehr Austritten ändern. Was hält sie eigentlich davon ab?

Sechs Tage sind die Jugendlichen in drei Städten unterwegs. Im Gepäck: jede Menge Instrumente. "Das ist auf jeden Fall ein Abenteuer", sagt Stefan Strohmayer. Der 38-Jährige hat rund um Rosenheim zu einer Straßenmusiktour nach Regensburg, Würzburg und Nürnberg unter dem Hashtag #SummerRoadMovie eingeladen. "Es gibt keinen krasseren Auftrittsort als die Straße", sagt Strohmayer. "Das ist eine spannende Zeit, in der die Jugendlichen wachsen können."

Veranstalter ist die katholische Jugendstelle, die zum Erzbischöflichen Jugendamt München-Freising gehört. Viele der Jugendlichen hätten mit der Kirche bisher wenig zu tun gehabt, sagt Strohmayer. Doch die Straßenmusik-Gruppenfahrt sei für sie interessant: "Allein bekommen sie den Hintern dafür nicht hoch."

Näher an den Menschen, offen und attraktiv: Das will die katholische Kirche in Bayern nicht erst seit der Veröffentlichung der jüngsten Mitgliederzahlen sein. Doch der enorme Schwund gab den Rufen nach Veränderung neuen Nachdruck: Mehr als 64 000 Menschen kehrten im vergangenen Jahr der Kirche im Freistaat den Rücken, etwa 16 000 mehr als noch 2017. Der Generalvikar im katholischen Erzbistum München und Freising, Peter Beer, sagte bei der Bekanntgabe im Juli: "Wir müssen überlegen, warum wir zu so vielen Menschen den Kontakt verloren haben." Doch was hindert die Kirche vor Ort daran, sich zu ändern?

Auf der einen Seite steht das Kirchenrecht, das die bayerischen Bistümer nicht auf eigene Faust umgehen können. "Dass zum Beispiel unser Erzbischof den Zölibat einfach außer Kraft setzt, ist eine utopische Hoffnung, vielleicht von wenigen", sagt Wolfgang Bischof. Er ist als Weihbischof im Erzbistum München und Freising für die Weiterentwicklung des seelsorgerlichen Profils zuständig.

Der Kirche gehen die Mitglieder aus - und die Pfarrer

Entscheidungen über die Ehelosigkeit für katholische Pfarrer oder die Priesterweihe für Frauen würden - wenn überhaupt - auf weltkirchlicher Ebene getroffen. Im Bistum könne man aber auch im Kirchenrecht Freiräume nutzen, um Frauen und Männern ohne Weihe Aufgaben in der Gemeindeleitung zu übertragen. In einigen Gemeinden in Bayern wird das schon praktiziert.

Die neuen Leitungsmodelle sind aber auch das Resultat eines zweiten Problems: Der Kirche gehen die Pfarrer und hauptamtlichen Mitarbeiter aus. Das Erzbistum München-Freising rechnet bis 2030 mit einem Personalschwund von 30 Prozent. Das Erzbistum Bamberg reduziert die Zahl der Seelsorgebereiche schon zum 1. September hin von aktuell 95 auf 35, um dem Priestermangel gerecht zu werden. Teams von mindestens fünf Leitern sind dann für jeweils mehr als 12 000 Katholiken zuständig. Ein geweihter Pfarrer muss aber immer dabei sein, das schreibt wiederum das Kirchenrecht vor.

Von einem "Umbau im laufenden Betrieb" spricht Weihbischof Bischof. Mit Prozessen, die die katholische Kirche fit für Veränderung machen sollen, kennt er sich aus: Unter dem Titel "Dem Glauben Zukunft geben" leitete er 2009/2010 einen Zukunftsprozess im Erzbistum München-Freising mit Tausenden Rückmeldungen, elf Gesprächsabenden und einem Abschlusspapier, das feierlich an Kardinal Reinhard Marx übergeben wurde. "Wir haben dabei viel gelernt und sind am Ende doch sehr stark bei den Strukturen hängen geblieben", sagt Bischof heute.

Momentan ist der 58-Jährige mit der Gestaltung der mittleren Leitungsebene im Erzbistum, der Dekanate, beschäftigt. Parallel soll er Leitlinien weiterentwickeln, wie die katholische Kirche Menschen vor Ort besser erreichen kann - bei aller Voraussicht nach sinkenden Steuereinnahmen, mit weniger Personal, in schrumpfenden Gemeinden.

Jazz-Abendandacht in München-Sendling - bringt's das?

Als Positiv-Beispiele nennt Bischof die Casa Don Bosco, eine 2017 eröffnete katholische Einrichtung mit Krippenplätzen, Kindergarten und Schülerhort im Münchner Stadtteil Haidhausen. "Das Viertel ist sehr stark von jungen Familien geprägt", sagt Bischof. "Und es gibt Dinge, wo wir als Kirche wichtig sind." Um passende Angebote zu entwickeln, nutzt das Erzbistum auch Daten aus Sozialraumstudien. Eine Frage stehe dabei im Mittelpunkt, so Bischof: "Wie können wir den Menschen konkret in ihrem Leben dienen?"

Auf dieser Grundlage sind eine Jazz-Abendandacht im Münchner Stadtteil Sendling, ein "Gottesdienst für postmoderne Menschen" im Stadtteil Giesing und eine "Lange Nacht" zur Firmvorbereitung von drei Pfarrverbänden im Landkreis Rosenheim entstanden. Bisher ist das aber, was den Mitgliederschwund in Bayern angeht, nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Viele Laienvertreter wünschen sich deshalb einen groß angelegten Strategieprozess, an dem Ehrenamtliche mehr beteiligt werden - und eine Antwort auf die Frage: Was ist die Zukunftsidee? "Das wäre dringend notwendig", sagt Stephanie von Luttitz vom Bund der Deutschen Katholischen Jugend. "Wir brauchen eine Vision für Kirche, die für die nachfolgenden Generationen tragbar ist."

Weihbischof Bischof ist da zurückhaltender. Nach den Erlebnissen mit "Dem Glauben Zukunft geben" wolle er diesmal ohne Hochglanzdrucke, ohne Titel und ohne Frist arbeiten, sagt er. "Denn diese Erneuerung der Seelsorge wird nie zu einem Endpunkt kommen, der sich in einem Druckprodukt fassen lässt. Seelsorge ist lebendig und wird immer von konkreten Menschen, konkreten Orten und konkreten Gelegenheiten geprägt." Und sie wird für die katholische Kirche auf absehbare Zeit aber wohl nicht leichter.
(Frederick Mersi, dpa)

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