Politik

Die Synagoge in Halle: Ein rechtsextremer Attentäter wollte dort ein Blutbad anrichten – und erschoss zwei Menschen. (Foto: dpa/Hendrik Schmidt)

18.10.2019

Wie antisemitisch ist die AfD?

Die Partei bestreitet judenfeindliche Tendenzen – Experten sehen das anders: eine Analyse

Zahlreiche Politiker geben der AfD eine moralische Mitschuld an dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle. In Teilen der rechten Partei ist Experten zufolge Antisemitismus weit verbreitet. Ein ehemaliger bayerischer AfD-Funktionär berichtet von alltäglichem Judenhass. Und man muss nicht lange suchen, um eine Vielzahl an antisemitischen oder Antisemitismus verharmlosenden Äußerungen von AfD-Politikern zu finden. Die Staatszeitung zeigt die schlimmsten.

Die Geschehnisse vom Mittwoch vergangener Woche vor einer Synagoge in Halle waren nicht nur für die jüdische Gemeinde ein Schock. Nur, weil die Tür zu dem gut besuchten Gotteshaus den Schüssen des Attentäters standhielt, gelang es dem mutmaßlichen Rechtsterroristen Stephan B. nicht, darin ein Blutbad anzurichten. B. erschoss jedoch zwei Menschen vor dem Gebäude.

Doch wer trägt neben dem mutmaßlichen Täter die Verantwortung für das Beinahe-Massaker von Halle und den seit Jahren wieder zunehmenden Antisemitismus in Deutschland? Zahlreiche Politiker anderer Parteien geben der AfD eine moralische Mitschuld. „Das eine sind diese schrecklichen Gewalttäter, vor denen wir uns schützen müssen, das andere sind auch die geistigen Brandstifter, da sind in letzter Zeit auch einige Vertreter der AfD in unverschämter Weise aufgefallen“, sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU). Namentlich nannte Herrmann in diesem Zusammenhang den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke. Dieser verbreite Antisemitismus.

Tatsächlich verharmloste Höcke in der Vergangenheit die Holocaust-Leugnung als „Meinungsdelikt“. Und im Zusammenhang mit dem Holocaust-Mahnmal in Berlin sprach er von einem „Denkmal der Schande“. Doch ist Höckes Meinung nur eine Außenseiter-Position, wie es mancher aus dem eher gemäßigten AfD-Lager gerne versucht, die Öffentlichkeit glauben zu machen? Wohl kaum. „Die AfD hat sich von einer Partei mit vielen Antisemiten zu einer strukturell antisemitischen Partei fortentwickelt“, sagt etwa der Berliner Antisemitismus-Experte Jan Riebe. Der Sozialwissenschaftler arbeitet bei der Amadeu Antonio Stiftung, die sich seit vielen Jahren gegen Fremden-, aber auch Judenfeindlichkeit engagiert. Er warnt vor einer „breiten antisemitischen Strömung innerhalb der Partei“. Für Riebe ist klar: „Bei der AfD wird bewusst mit antisemitischen Vorurteilen in Teilen der Gesellschaft gespielt, um Teile des eigenen Klientels zu bedienen.“ Auch der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, sagt: „Die AfD hat sehr viele judenfeindliche Positionen.“

Antisemitismus ist dabei keineswegs ein auf die Ost-AfD begrenztes Phänomen. Der vor Jahren ausgetretene frühere AfD-Bezirksvorsitzende von Oberfranken und Ex-Pressesprecher des bayerischen Landesvorstands gab im Gespräch mit der Staatszeitung Anfang 2018 tiefe Einblicke in das Innenleben der Partei. Der Judenhass sei dort „unerträglich“ gewesen, berichtete Franz Eibl. Vertreten wurden etwa Verschwörungstheorien über die Rothschilds oder den jüdischen US-Investor George Soros. Auch in der Münchner AfD wurden in der Vergangenheit krude Theorien über Juden geäußert.

Gehetzt wird im Netz – und in internen Runden

Wer nach antisemitischen oder Antisemitismus verharmlosenden Äußerungen von AfD-Politikern sucht, wird vielfach fündig. Erst in dieser Woche hat der sächsische AfD-Landtagsabgeordnete Roland Ulbrich das versuchte Massaker an Juden in Halle als „Sachbeschädigung“ bezeichnet. Schlagzeilen machte 2016 der baden-württembergische Landtagsabgeordnete Wolfgang Gedeon. Der AfD-Mann hatte in einem Buch im Zusammenhang mit dem Holocaust von „gewissen Schandtaten“ und einer „Zivilreligion des Westens“ schwadroniert. Und es gab Äußerungen, die an Menschenverachtung kaum zu überbieten sind. 2015 hatte der norddeutsche AfD-Lokalpolitiker Gunnar B. auf Facebook einen Artikel verbreitet, in dem behauptet wurde: „Kein einziger Jude ist durch eine Tötungs-Gaskammer umgebracht worden.“ Zyklon B habe vielmehr „zum Schutze des Lebens“ gedient.

Oft taucht als Feindbild von Mitgliedern der rechten Partei auch der Staat Israel auf. So hatte der heutige Berliner Landtagsabgeordnete Ronald Gläser 2003 die Verschwörungstheorie verbreitet, der liberale Ex-Minister Jürgen Möllemann könnte vom israelischen Geheimdienst umgebracht worden sein. Gehetzt wird vor allem im Internet oder in internen Runden. Im Jahr 2013 hatte der damalige Schatzmeister der hessischen AfD, Peter Ziemann, von internationalen „Mafiosi“ gefaselt. Diese wollten die Menschheit „in einem öko-faschistischen Gefängnisplaneten versklaven“. Konkret seien dies etwa die Familie Rothschild oder George Soros.

Nicht selten sind auch Attacken gegen den Zentralrat der Juden. Dieser habe die „politische Meinungsbildungshoheit sowie die politische Kontrolle über Deutschland“, schwadronierte der hessische Kommunalpolitiker Gottfried Klasen 2016 einem Medienbericht zufolge. Als Folge des Skandals schied er aus dem Kasseler Kreistag aus.

Ungeschoren kam dagegen der frühere AfD-Chef Sachsen-Anhalts, André Poggenburg, davon, als er im April 2014 die Ausweisung des jüdischen Moderators Michel Friedman forderte. Angesichts der vielen deutschen Juden, die in den 1930er-Jahren unter dem Druck des Nazi-Regimes das Land verließen, um dem späteren Massenmord zu entkommen, eine abscheuliche Entgleisung. Poggenburg schadeten seine Äußerungen jedoch offenbar nicht - er brachte es sogar zum Fraktionschef. Später verkrachte sich der rechte Politiker jedoch mit seinen einstigen Parteifreunden und trat 2019 aus der Afd aus.

Experte: AfD fährt eine Doppelstrategie

Mitunter sind AfD-Politiker, die in Verbindung mit Antisemitismus gebracht werden, sogar in für den Schutz der Demokratie besonders wichtigen Funktionen. So wurde etwa der Landtagsabgeordnete Volker Olenicak 2016 in die Parlamentarische Kontrollkommission in Sachsen-Anhalt gewählt. Diese ist für die Überwachung des Verfassungsschutzes zuständig. Dabei hatte Olenicak mehrere antisemitische Posts geteilt – in einem wird Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) als „zionistische Agentin“ diffamiert.

Fragen wirft aber auch der offizielle Kurs der AfD auf. Ein ums andere Mal versucht sich die Partei als natürlicher Verbündeter der deutschen Juden im Kampf gegen eine angebliche islamistische Bedrohung zu inszenieren. Tatsächlich sind in der Partei auch Mitglieder, die sich glaubhaft gegen Antisemitismus positionieren. AfD-Bundessprecher Alexander Gauland sagt auf Anfrage: „Antisemitischer Terror und extremistische Gewalt müssen konsequent bekämpft und hart bestraft werden.“ Doch wie ernst der Parteispitze der Kampf gegen Judenhass tatsächlich ist, steht auf einem anderen Blatt.

Antisemitismus-Experte Jan Riebe unterstellt der rechten Partei eine Doppelstrategie. „Sie spielt sich als Vorkämpfer gegen Antisemitismus auf, wenn dieser von Muslimen kommt – in den eigenen Reihen unternimmt man dagegen nur wenig.“ In den anderen Parteien wächst seit der Tragödie von Halle dagegen die Aufmerksamkeit für verbale Entgleisungen innerhalb der AfD. Es gelte nun, gegen die „geistige Brandstiftung“ anzugehen, verspricht Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU).
(Tobias Lill)

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