Zu wenig junge Frauen in der Politik, zu wenig echte Vorbilder, beklagt Isabelle Kürschner. (Foto: dpa)
Interview: Familie und Politik zu vereinbaren, ist schwer. Helfen würde es, wenn mehr Politiker/innen offen über ihr Familienleben sprächen
Noch immer gibt es wenige junge Frauen in der Politik. Auch weil es an Vorbildern fehlt, sagt Politikwissenschaftlerin Isabelle Kürschner. Sie beschäftigt sich seit Jahren in Wissenschaft und Praxis mit Gender und Diversity Fragen. Als Auditorin für das audit berufundfamilie arbeitet sie eng mit Arbeitgebern zusammen, die sich für eine familienbewusste Personalpolitik und die Steigerung des Anteils von Frauen in Führungspositionen einsetzen.
BSZ: Frau Kürschner, warum gibt es so wenige junge Frauen in der Politik?
ISABELLE KÜRSCHNER: Das liegt unter anderem daran, dass Familie, Beruf und Politik so schwer zu vereinbaren sind. Allerdings: Wird Politik zum Beruf ist es als Politikerin auch nicht wirklich schwerer als in jedem anderen anspruchsvollen Beruf. Das Hauptproblem sehe ich aber darin, dass es in Deutschland für die jungen Frauen zu wenige Vorbilder gibt.
BSZ: Weil es einfach immer noch zu wenige Spitzenpolitikerinnen gibt?
KÜRSCHNER: Nein, in Deutschland haben wir sogar mehr Frauen in der Politik als beispielsweise in den USA. Aber die Politikerinnen reden zu wenig darüber, dass sie auch Mütter sind. Als wir für die Hanns-Seidel-Stiftung die Studie „Politik mit Kind und Kegel“ über die Vereinbarkeit von Familie und Politik bei Bundestagsabgeordneten Interviewpartnerinnen gesucht haben, war es ganz schwer, welche zu finden. Bei vielen war es sogar kaum zu recherchieren, ob sie überhaupt Familie und Kinder haben. Dass Berufspolitikerinnen das Thema totschweigen, ist das große Problem.
BSZ: Warum tun sie das?
KÜRSCHNER: Zum einen, weil sie sich einem Rechtfertigungsdruck ausgesetzt fühlen – es könnten ja Vorwürfen kommen, man vernachlässige die politische Arbeit. Oder auch: Man vernachlässige das Kind. Vor allem aber, glaube ich, liegt es an der Angst, als Mutter in der Politik nicht mehr so ernst genommen zu werden. Oder deshalb gar übergangen zu werden. Es gibt Staatssekretärinnen und auch Ministerinnen, die das Gefühl hatten, dass manche nur darauf gewartet hätten, dass sie eine Zeit lang weg sind. Und wenn sie als junge Mutter nicht mehr jeden Abendtermin wahrnehmen oder bei jeder Delegationsreise ins Ausland dabei sein konnten, haben sie dafür wenig Verständnis erhalten – im Wahlkreis, aber auch bei den eigenen Parteifreunden. Eine Abgeordnete zum Beispiel erzählte, dass sie einen Termin an einem Adventsonntag abgesagt habe mit dem Hinweis, dass der Tag der Familie gehöre. Das hat niemand verstanden.
Enormer Rechtfertigungsdruck
BSZ: Bundestagsabgeordnete haben nun eine Initiative gestartet, die auch eine Selbstverpflichtung enthält, den Sonntag zum Beispiel politikfrei zu halten. Bringt das was?
KÜRSCHNER: Ja und zwar vor allem dann, wenn Leute mit Ansehen mitmachen. Auch in Sachen Frauenquote in der Politik gibt es bislang kein Gesetz, aber alle großen Parteien haben heute eine freiwillige Selbstverpflichtung dazu. Die Grünen haben damit angefangen, und jetzt hat auch die CSU eine Frauenquote. Aber es gibt heute in der Politik auch wahnsinnig viele Männer mit kleinen Kindern. Und auch die müssen über ihre Rolle als Familienvater reden. Das würde mehr helfen als ein Diktat von außen.
BSZ: Wie könnte man ganz konkret die Politik familienfreundlicher gestalten?
KÜRSCHNER: Natürlich sind hier in erster Linie die Parteien gefragt, Sitzungen und Termine familienfreundlicher gestalten. Was auch hilft: Eine Kinderbetreuung auf Veranstaltungen anbieten. Allerdings gibt es bei der familienfreundlichen Termingestaltung auch Grenzen – denken Sie zum Beispiel an die Wahlkreisarbeit. Sagen Sie der Freiwilligen Feuerwehr, dass Sie generell keine Abend- oder Sonntagstermine wahrnehmen, unterstützt die dann irgendwann vielleicht den Gegenkandidaten, der auf das Feuerwehrfest am Sonntag kommt.
BSZ: Also wird Politik als Beruf immer familienfeindlich bleiben?
KÜRSCHNER: Nicht wenn immer mehr Politiker auch mal darauf hinweisen, dass sie ein Privatleben und Familie haben. Politiker sollten ihre Kinder ruhig auch mal auf Termine mitnehmen. Und auch über sie reden. Ich kenne zum Beispiel einen Bürgermeister, der seiner Sekretärin ganz klar die Anweisung gibt, dass sie Anrufern nicht einfach mitteilen solle, er sei auf einem Termin. Sie soll ausdrücklich sagen: Der Bürgermeister ist gerade auf der Schulaufführung seiner Tochter und ab soundso viel Uhr wieder erreichbar. Dieses Sichtbarmachen ist ganz wichtig, damit die Menschen merken: Auch Politiker sind normale Menschen mit Familie. Natürlich darf man Kinder nicht instrumentalisieren. Aber verstecken darf man sie auch nicht. (Interview: Angelika Kahl)
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