Seit Jahren fordert der Jurist Jürgen Kühling von der Universität Regensburg den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf, sein Programm stärker von den Privatmedien abzugrenzen. Ein Gerichtsurteil erhöht nun den Druck zu Reformen. Gut so, findet Kühling.
BSZ: Herr Kühling, schauen wir mal ins aktuelle Fernsehprogramm von ARD und ZDF: Was ist der Mehrwert von Sendungen wie Rote Rosen, SOKO Köln, Die Küchenschlacht oder Die Heiland, einer Anwaltsserie?
Jürgen Kühling: Darauf weise ich schon seit Jahren hin: Es gibt zu viele Sendungen, die keinen spezifischen Mehrwert gegenüber dem privaten Rundfunk haben, und zwar in allen Bereichen. Die tausendste Krimiserie, die nach 08/15-Schema abgenudelt wird, braucht es sicher nicht. Doch gerade an solchen Sendungen herrscht ein totales Überangebot.
BSZ: Im Rahmen der Reformdiskussionen des Medienstaatsvertrags wurde auch eine Begrenzung des Sportbudgets von ARD und ZDF auf 5 Prozent des Gesamtbudgets erwogen, was immer noch viel ist. Braucht es das?
Kühling: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) soll ruhig Sport übertragen, wenn auch Sport gezeigt wird, der sich im Privatfernsehen nicht so verkauft. Der Frauenfußball ist sicher auch durch die Übertragungen im ÖRR beflügelt worden. Entscheidend ist, dass man sich über jedes einzelne Programmelement Gedanken macht: Warum brauchen wir das gerade im ÖRR? Sind hier die Pflichtbeiträge sinnvoll eingesetzt? Und da fallen für mich viele Programme von vornherein aus.
BSZ: Wo sehen Sie den Mehrwert in der Unterhaltung?
Kühling: Ein gutes Beispiel ist die Serie Babylon Berlin, eine Kooperation der ARD mit einem privaten Anbieter: Da wird ein historisch und gesellschaftspolitisch relevantes Thema, das Aufkommen des Nationalsozialismus, in ein publikumswirksames Format gegossen. Es geht darum, ein Bildungsfernsehen zu produzieren, das alle Schichten erreicht. Qualität und Anspruch heißt nicht Professoren-TV.
BSZ: Und im Bereich Information?
Kühling: Da ist der Mehrwert natürlich am leichtesten zu schaffen: indem man dafür sorgt, dass ein flächendeckendes Informationsnetzwerk da ist, man viel Mühe auf qualitätsorientierte Recherche legt und Diskurse anstößt. Im Einzelfall kann man natürlich darüber streiten, ob das gelingt oder nicht.
BSZ: Wie beurteilen Sie die Reformbereitschaft des ÖRR? Die vorgesehene Streichung mehrerer TV-Sparten- und Radiosender war ja auch eine Vorgabe von außen, durch die Länder.
Kühling: Es ist definitiv zu langsam und zu wenig. Die Beharrungskräfte sind zu groß. Insofern bedarf es weiteren Drucks von außen. Bei einzelnen Akteuren und Sendern ist die Erkenntnis vorhanden, dass signifikante Einsparungen, Umschichtungen und Fokussierungen notwendig sind, aber das hat sich noch nicht so richtig in Entscheidungen materialisiert.
BSZ: Statt weitere Sparkonzepte vorzulegen, haben die Sender gegen das Einfrieren des Beitrags geklagt. Sagt das nicht alles?
Kühling: Ja, man hofft wieder auf Schützenhilfe vom Bundesverfassungsgericht. Das hat traditionell den Fokus stärker auf die Rechte des ÖRR gelegt als auf die Pflichten. Eine Bestands- und Entwicklungsgarantie, eine finanzielle Absicherung und die Unabhängigkeit von der Politik sind alles sehr wichtige Dinge. Aber es fehlt, mit gleicher Verve zu skizzieren, was der ÖRR dafür leisten muss.
"Pluralismus heißt nicht, häufiger verfassungsfeindlichen Positionen Gehör zu schenken."
BSZ: Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Klage einer Beitragszahlerin jetzt erstmals festgestellt: Die zwangsweise Zahlung des Rundfunkbeitrags ist an eine vielfältige, ausgewogene und staatsferne Berichterstattung gekoppelt. Wird jetzt eine Klagewelle auf den ÖRR zukommen?
Kühling: Den Auftrag einer gewissen gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen, finde ich begrüßenswert, weil es den Druck für Reformen erhöhen wird. Ich glaube aber nicht, dass jetzt die Verwaltungsgerichte Programmentscheidungen im Detail hinterfragen werden. Im besten Fall wird eine heilsame Auseinandersetzung damit kommen, was der spezifische Beitrag des ÖRR zum Pluralismus ist.
BSZ: Dessen Vielfalt, Ausgewogenheit und Staatsferne werden zunehmend infrage gestellt. Zuletzt blamierte sich der NDR, als er sich von der konservativen Moderatorin Julia Ruhs trennte, die aber gleichzeitig für den BR in der gleichen Sendung weitermachen darf. Ist das nicht Wasser auf die Mühlen derer, die dem ÖRR eine linke Schlagseite attestieren?
Kühling: Ich würde mich ungern zu Einzelfällen einschließlich der Fragen zur journalistischen Sorgfaltspflicht äußern. Aber sicher gibt es die Verpflichtung, eine Ausgewogenheit im Programm zu haben. Und da muss der ÖRR kritisch reflektieren, ob bestimmte Positionen fair und ausgewogen dargestellt werden. Finden konservative Positionen, die fest auf dem Boden der demokratischen Grundordnung stehen, genügend Raum? Das würde ich aber trennen wollen von der Frage, wie mit der AfD umgegangen wird, ein rechtsextremistischer Verdachtsfall beziehungsweise eine gesichert rechtsextreme Partei.
BSZ: Die AfD ist aktuell die größte Oppositionspartei im Bundestag, im Osten Deutschlands sogar vielerorts die stärkste Partei, wird aber seltener als andere in Talkshows eingeladen, wie eine Untersuchung des Spiegel zeigt. Sollen die AfD-Positionen im ÖRR einfach ignoriert werden?
Kühling: Pluralismus heißt nicht, häufiger verfassungsfeindlichen Positionen Gehör zu schenken. Die AfD sollte eher wieder versuchen, raus aus der rechtsextremen Ecke zu kommen.
BSZ: In den Programmen und parlamentarischen Anträgen der AfD gibt es einige Positionen, die so auch von anderen Parteien rechts der Mitte stammen könnten. Wieso werden nicht einfach die Vertreter dieser Positionen häufiger eingeladen?
Kühling: Der Umgang mit einer Partei, die in Teilen einfach eine konservative Politik verfolgt, die man so oder so sehen kann, aber auch in Teilen eine Politik verfolgt, die eine Gefahr für unsere demokratische Grundordnung ist, ist eine große Herausforderung. Das ist auch für den ÖRR eine sehr schwierige Gratwanderung: einerseits keine politische Partei zu diskriminieren, andererseits keinen verfassungsfeindlichen Positionen Vorschub zu leisten.
BSZ: Man muss nicht lange suchen, um im Netz unzählige Beispiele von Verfehlungen oder vermeintlichen Verfehlungen des ÖRR zu finden. Der ÖRR nimmt das stumm hin. Ist er selbst nicht von seinem Tun überzeugt?
Kühling: Das beste Marketing, das der ÖRR machen kann, ist, auf den Reformbedarf zu reagieren. Heißt: in einigen Bereichen zurückzufahren und in anderen dafür umso innovativer und ansprechender zu sein. (Interview: Thorsten Stark)
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