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Gaffer: Laut Kaindl sinnverwandt mit „aff“ gebraucht: einer, der sich in etwas „vergaffet“ = „Augen und Maul dabei vergessen“, also „aufgesperret gelassen“ haben beziehungsweise „an diesem Mädgen einen Affen gefressen“ = „sie sehr lieb“ haben. Das Wort gehört zu „gappen/gehappen“ und damit zur Wurzel „heb“ ihren vielen Bedeutungen. (Foto: dpa/Peter Endig)

05.01.2024

Der Wurzelsucher

Der Benediktinerpater Johann Evangelist Kaindl erforschte den Ursprung der Sprache

Nur wenige Jahre nach der grundstürzenden Aufhebung der Klöster in Bayern (1802/03) waren nachdenkliche Stimmen zu vernehmen, die an die Geistes- und Kulturleistungen der Ordensangehörigen erinnerten. So meinte ein Autor im Jahr 1825: „In den Klöstern gediehen die größesten Männer, welche für alle wissenschaftlichen Zweige solche Grundlagen legten, dass ihre Nachkömmlinge nur spielende Arbeit haben für die der Zeit anpassende Ausbildung.“ Ganz offenbar bildete monastische Gelehrsamkeit selbst nach den Klosteraufhebungen noch eine solide Grundlage für wissenschaftliche Aufgaben. Auch mit dem Prüfeninger Benediktiner Johann Evangelist Kaindl, an dessen 200. Todestag in diesem Jahr zu erinnern ist, feierte die klösterliche Wissenschaft noch posthume Verdienste.

Am 18. Juni 1744 wurde Franz von Paula Matthias Kaindl, wie der Taufname des späteren Mönches Johann Evangelist lautet, als Sohn eines Stiftsmesners in Straubing geboren. Dort besuchte er von 1756 bis 1761 das Jesuitengymnasium und erhielt so Zugang zu einem Erziehungs- und Bildungssystem, das bis ins Zeitalter der Aufklärung den Werdegang der katholischen geistigen Elite prägte. Immer noch dominierte der altsprachliche Unterricht, jedoch zeigten sich ab Mitte des 18. Jahrhunderts zunehmend Bemühungen um eine verstärkte Pflege der Muttersprache, womit die Lehrkräfte die sprachliche Neugier des ausgezeichneten Schülers offenbar zu wecken wussten.

Gewissenhafter Archivar

Nach der Gymnasialzeit trat Kaindl in das Benediktinerkloster Prüfening ein, wo er 1762 die Ordensgelübde ablegte. Seine philosophische und theologische Ausbildung erhielt er am Kommunstudium der Bayerischen Benediktinerkongregation, danach empfing er 1767 die Priesterweihe und wirkte lange Jahre als Seelsorger, Kanzelredner und Beichtvater in den inkorporierten Klosterpfarreien. Daneben wurde er in seinem Klos­ter zum Archivar bestimmt und dieser Aufgabe mehr als gerecht, wie sein ehemaliger Mitbruder Edmund Walberer (1768 bis 1842) rückblickend bemerkte: „... durch seinen unermüdeten Fleiß erwarb er sich in der Diplomatik ausgedehnte und gründliche Kenntnisse, welche er auch zur Aufrechterhaltung der Gerechtsame des Stiftes zu verwenden wußte“. Seine sorgfältigen Abschriften von Traditionen, Urkunden und Diplomen bildeten die Grundlage für die Edition der Monumenta Priflingensia (1787), die im Rahmen der großen bayerischen Quellensammlung Monumenta Boica erschien – ein früher Beleg für seine weitgespannten Interessen, die zugleich ein Schlaglicht werfen auf das geistig-intellektuelle Niveau in den Benediktinerklöstern, das im Zuge der „katholischen Aufklärung“ allenthalben eine neue Blüte erlebte. In Prüfening waren besonders die beiden letzten Äbte, Martin Pronath (Abt von 1781 bis 1790) und vor allem Rupert Kornmann (Abt von  1790 bis 1803), konsequent bestrebt, ihr Haus als Pflegestätte von Bildung und Wissenschaft zu etablieren.

Die Säkularisation von 1803 bereitete der vielerorts blühenden Klosterkultur ein Ende und bedeutete für die Klosterinsassen den Verlust ihres gewohnten geistlichen und sozialen Umfelds. Auch Johann Evangelist Kaindl, der seinen Ordensnamen beibehielt, musste Anfang 1804 nach dem Willen des neuen Eigentümers Alexander Freiherr von Vrints-Berberich das Kloster verlassen. Er übersiedelte in das Dorf Kumpfmühl (heute ein Stadtteil von Regensburg), wo er im Haus seines früheren Abtes aufgenommen wurde; in seinem Testament (1815) räumte Rupert Kornmann seinem „lieben Senior“ ein lebenslanges, unentgeltliches Wohnrecht „in seinem Stübchen“ ein. In unmittelbarer Nachbarschaft zu dieser Wohngemeinschaft verbrachte später auch der Exkonventuale Edmund Walberer seinen Ruhestand. In den Jahren der Stille, die auf die Aufhebung des Klos­ters folgten, konnten sich Kornmann und seine Mitbrüder ungestört ihren schon früher gepflegten wissenschaftlichen Interessen widmen. Am 17. April 1823 verstarb Johann Evangelist Kaindl nach jahrelangem Gichtleiden, seine letzte Ruhestätte fand er vermutlich auf dem katholischen Lazarusfriedhof an der Prüfeninger Straße.

Allseitig interessierter Forscher

In vielseitiger Weise nahm Kaindl am geistigen Diskurs der Zeit teil. Neben der Geschichtsschreibung und der Erforschung der deutschen Sprache widmete er sich sogar den Naturwissenschaften. In dem Aufsatz „Über den Salpeter“ bearbeitete er 1806 eine Preisfrage der Münchner Akademie der Wissenschaften aus dem Bereich Mineralogie, die der Geologe Mathias von Flurl (1756 bis 1823), führender Reformer des bayerischen Berg-, Hütten- und Salinenwesens, gestellt hatte. Einem his­torischen Thema ist die Abhandlung „Über den Ort wo der baierische Pfalzgraf Otto der Siebte von Wittelsbach fiel“ gewidmet, die Kaindl im darauffolgenden Jahr der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu München vorlegte.

Wie viele der klösterlichen Historiografen fachlicher Autodidakt, hatte er sich sein Wissen, die methodischen Grundsätze, die Vertrautheit mit den Quellen als Archivar seines Klosters erworben. Und auch nach der Säkularisation bot sich hinreichend Gelegenheit zu historischer Forschung. Gemeinsam mit Edmund Walberer unterzog sich Kaindl nämlich der Aufgabe, die in Prüfening zurückgelassenen Archivalien zu retten. Bei der Zentralisierung der Klosterbestände im Geheimen Landesarchiv in München musste aus Raumgründen eine strenge Auslese der ständischen Klos­terarchive vorgenommen werden; in die Landeshauptstadt gelangten Urkunden und bedeutende Amtsbücher, während die Aktenmassen der Klos­terarchive und -registraturen weitgehend vernachlässigt wurden. Der umfangreiche Druckschriften-, Archivalien- und Urkundenbestand, der von den beiden in Prüfening gesammelt, dann in Kumpfmühl gesichtet und erschlossen wurde, bot die idealen Voraussetzungen für historische Studien und Quellenforschung.

Kaindl hinterließ zahlreiche historische Schriften, wovon nur ein geringer Teil in Druck gelangte. Bereits 1784 hatte er, anlässlich der Säkularfeier der Bayerischen Benediktinerkongregation, eine Geschichte der Äbte seines Klosters erarbeitet, und mit der 1819 verfassten Abhandlung „Das Gotteshaus zu Prifling in Niederbaiern“ wollte er seinem Stift, in Erinnerung an das 700-jährige Jubiläum der Kirchenweihe, „ein vaterländisches Denkmal“ setzen. Zu einem historischen Gemälde benediktinischer Klosterkultur geriet die gedruckte Biografie des Abtes Rupert Kornmann (1818), in der sich seine Fähigkeit zur individualisierenden Charakteristik mit der Kunst, größere kulturhistorische Zusammenhänge darzustellen, verband.

Kaindls Hauptinteresse aber galt dem Studium der deutschen Sprache. Dabei ging es ihm weniger um eine Sprachnormierung in Altbayern, wie sie der etwas ältere Heinrich Braun (1732 bis 1792), ein Benediktiner aus Tegernsee, im Sinne aufklärerischer Bildungsarbeit gefordert hatte, als um die historische Dimension von Sprache. Seine Sprachauffassung war entscheidend bestimmt von dem einsilbigen Stammwort, dem Wurzelwort, als konstituierendem Element der Sprache. Über Jahre sammelte er entsprechendes Material, Dokumente und Sprachzeugnisse, und 1815 veröffentlichte er im Eigenverlag den ersten Band seines Wörterbuchs Die Teutsche Sprache, aus ihren Wurzen. Kurz vor seinem Tod vermochte er dann den Sulzbacher Verleger Johann Esaias von Seidel für seine Arbeit zu interessieren, der das Buchprojekt in den Jahren 1823 bis 1826 zum Abschluss führte. Die Redaktion der Bände II bis IV lag weitgehend in Händen des Ex-Benediktiners Thaddäus Anselm Rixner (1766 bis 1838) von Metten, der als Professor der Philosophie am Amberger Lyzeum wirkte. Der fünfte Band enthielt ein alphabetisches Wortregister, dem Rixner 1830 ein zweibändiges „Erläuterndes Alphabetisches Wortregister“ als Handwörterbuch der Deutschen Sprache mit Hinweisung auf ihre Ableitung für Vernunft-, Sprach- und Geschichtsforscher folgen ließ.

Westenrieder und Schmeller suchen Rat

Als Sprachwissenschaftler genoss Kaindl Ansehen. Lorenz Westenrieder (1748 bis 1829), der bedeutendste Aufklärer in Altbayern, überschickte ihm 1802 ein Verzeichnis „alter Wörter“, um „hierüber seine Meinung“ zu hören. Bei den Vorbereitungen zu einem Lexikon der bayerischen Sprache und ihrer Geschichte suchte er den Rat gelehrter Brieffreunde. Bereitwillig unterstützte ihn Kaindl mit einer Vielzahl von Erläuterungen, die Westenrieder für das 1816 publizierte Glossarium Germanico-Latinum nutzen konnte. In Briefkontakt stand Kaindl auch mit dem Germanisten und späteren Hofbibliothekar Johann Andreas Schmeller (1785 bis 1852), der ihn zu Beiträgen für ein geplantes „Idiotikon zur Ausbildung der deutschen Sprache“ einlud; bei einem Besuch Schmellers in Regensburg im Juli 1817 – während der Vorarbeiten für sein Bayerisches Wörterbuch – kam es zu einem persönlichen Zusammentreffen der beiden Sprachforscher. Der Münchner Philologe Bernhard Joseph Docen (1782 bis 1828) schließlich, der sich als Herausgeber alt- und mittelhochdeutscher Sprachdenkmäler einen Namen machte, schlug Kaindl aufgrund von dessen historisch-etymologischen Studien als korrespondierendes Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften vor; eine Berufung scheint allerdings nicht erfolgt zu sein.

„Gott war das Wort“

Seinem Verzeichnis der deutschen Stammwörter stellte Kaindl sprachtheoretische und -philosophische Überlegungen voran: Als „Werk des Schöpfers, nicht [als] Menschenerfindung“ (§ 3) sei Sprache entstanden; allein durch göttliche Inspiration, nicht aber durch einen bewussten Akt der Reflexion, habe der Mensch zu sprachlichen Bezeichnungen gefunden. Mit der Annahme einer metaphysisch begründeten Sprache trat er damit anthropologischen Konzepten entgegen, wie sie im Sinne aufklärerisch-rationalistischer Sprachtheorie zunehmend formuliert wurden.

Deutsch – in Babylon entstanden

Eng verknüpft mit der Frage des Sprachursprungs war für Kaindl die Frage der Herkunft und Geschichte des Deutschen – womit er an eine Diskussion anschloss, die seit dem 16. Jahrhundert die Sprachforscher beschäftigte. Auch er ging von einer „Ursprache“, dem Hebräischen, aus, um dann – in der Tradition biblisch-theologischer Erklärungsmuster – die Entfernung von dieser ursprünglichen Sprache, also die Aufzweigung in verschiedene Sprachen, auf den Turmbau zu Babel (Genesis 11, 1-9) zurückzuführen. Das Deutsche galt ihm, auch wenn er dies nicht explizit sagte, als eine der „Hauptsprachen“, die in Babylon entstanden seien. Gerade die große Menge der auffindbaren Wurzeln war für ihn ein sicherer Beleg für den „unmittelbar göttliche[n] Ursprung der Teutschen Sprache“ (§ 8). Freilich habe die babylonische Sprachverwirrung nicht zur Vernichtung der Ursprache geführt. Sie sei nichts anderes als die Inversion von Buchstaben an den Wortstämmen, die zwar Verständnisschwierigkeiten verursache, aber den sprachlichen Urgrund noch durchschimmern lasse... (Manfred Knedlik)

Lesen Sie den vollständigen, reich bebilderten Beitrag in der Ausgabe Januar/Februar 2024 des BSZ-Online-Magazins UNSER BAYERN. Sie können die komplette, 40-seitige Ausgabe downloaden unter www.bayerische-staatszeitung.de Für BSZ-Abonnenten ist dieser Service kostenlos, sonst 3 Euro pro Ausgabe.

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