Unser Bayern

Die Weltkarte in Schedels Chronik (Ausschnitt) dokumentiert das geografische Verständnis im 15. Jahrhundert. Angereichert ist die Darstellung mit historischen Persönlichkeiten, Symbolen und Abbildungen von skurrilen Wesen. (Aus: Schedel, Buch der Chroniken, Nürnberg, 1493)

15.09.2023

Legendärer Chronist

Der Nürnberger Hartmann Schedel war ein gefragter Arzt. Weltruhm bescherte ihm aber sein großes Geschichtswerk

Wenn einer Deutschland kennen und Deutschland lieben soll, wird man ihm Nürnberg nennen, der edlen Künste voll. Dich, nimmer noch veraltet, du treue, fleißige Stadt, wo Dürers Kunst gewaltet und Sachs gesungen hat.“ Mit diesen schwärmerischen Worten beschrieb der Poet Max von Schenkendorf (1783 bis 1817) Nürnberg, die fränkische Metropole an der Pegnitz. Erstmals im Jahr 1050 als Reichsburg schriftlich bezeugt, gelang Nürnberg bald ein kometengleicher Aufstieg. Im 13. Jahrhundert erhielt es den Rang einer Freien Reichsstadt. 1356 wurde dort die Goldene Bulle verabschiedet: das „Grundgesetz“ des Heiligen Römischen Reiches, welches die Wahl des römisch-deutschen Königs durch die Kurfürsten regelte. 1423 honorierte Kaiser Sigismund die herausragende Stellung Nürnbergs, indem er der Stadt die Reichskleinodien zur Verwahrung übergab. Es handelte sich dabei um den Kronschatz des Heiligen Römischen Reiches.

Zwischen dem 15. und dem frühen 16. Jahrhundert, am Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit, erlebte Nürnberg eine Phase ökonomischer und kultureller Blüte. Der Fernhandel der Kaufleute und die Geschicklichkeit der Handwerker bescherten der Stadt ein florierendes Wirtschaftsleben. In diesem geistig fruchtbaren Umfeld erblickte einer der intellektuellsten Köpfe in der Geschichte Nürnbergs das Licht der Welt: Hartmann Schedel (1440 bis 1514). In der von ihm verfassten Weltchronik brachte er das Wissen seiner Zeit zu einer beeindruckenden Synthese und inspirierte Generationen von Wissenschaftlern.

Frühe Schicksalsschläge

Geboren wurde Hartmann Schedel am 13. Februar 1440 in Nürnberg. Obgleich er aus einer begüterten Kaufmannsfamilie stammte und wohlbehütet aufwuchs, hatte er schon als Jugendlicher schmerzliche Schicksalsschläge zu verkraften: Seine Mutter Anna verstarb 1445, sein Vater Hartmann der Ältere 1450, sodass er bereits im Alter von zehn Jahren Vollwaise war. Er wuchs fortan unter der Vormundschaft seines Onkels Marcus auf. Nach dem Besuch der Lateinschule verließ er Nürnberg und schrieb sich an der Leipziger Universität ein, wo er das im Mittelalter obligatorische Grundstudium der „Sieben Freien Künste“ absolvierte. Dieses umfasste die Fächer Grammatik, Rhetorik, Logik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Nachdem Schedel dieses Studium abgeschlossen hatte, widmete er sich im Hauptstudium zunächst der Rechtswissenschaft. Gleichzeitig hörte er mit Begeisterung die Vorlesungen des Leipziger Arztes Peter Luder. Bestärkt durch seinen Vetter Hermann, der Stadtarzt von Augsburg war, folgte er 1463 Luder in die nord­italienische Stadt Padua und studierte dort drei Jahre lang Medizin.

Italien hatte sich in jener Zeit zum Zentrum innovativer medizinischer Forschungen entwickelt. Während damals in Nord- und Mitteleuropa das Öffnen von toten menschlichen Körpern noch verboten war, bildete sich südlich der Alpen die Fachrichtung der Anatomie heraus: die Lehre von der Gestalt, Lage und Struktur der Körperteile, Organe und Gewebe. Ein mächtiger Impuls hierfür ging von der sogenannten Schule von Salerno aus, die vermutlich im 10. Jahrhundert begründet wurde. Sie war die älteste medizinische Lehr- und Forschungsanstalt Europas. Aus Rücksicht auf die kirchlichen Vorbehalte gegenüber Sektionen, aber auch aufgrund des Mangels an menschlichen Leichen, griffen die Ärzte bei ihren anatomischen Studien in den meisten Fällen auf tote Schweine zurück. In diesem Zusammenhang schrieb ein gewisser Copho gegen Ende des 11. Jahrhunderts in Salerno ein Traktat namens Anatomie des Schweines. Dieser Gelehrte nahm korrekterweise an, dass das Schwein ein Lebewesen war, dessen Körperinneres und Organstruktur denen des Menschen besonders ähnelten. Einen Meilenstein der frühen Chirurgie stellte das Lehrbuch des Roger von Salerno (um 1138 bis 1195), auch als Roger Frugardi bekannt, dar. Dieses um 1170 verfasste Werk leistete einen wichtigen Beitrag dazu, dass sich die Chirurgie als eigenständige medizinische Disziplin etablieren konnte. Es zeichnete sich durch eine damals ungewöhnliche Kombination von praktischer Anwendbarkeit und theoretischer Präzision aus.

Anatomische Studien

Anfang des 14. Jahrhunderts führte Professor Mondino dei Luzzi in Bologna erstmals seit der Antike wieder Sektionen durch: innere Leichenschauen zur Feststellung der Todesursache. Der Universalgelehrte Leonardo da Vinci fertigte zahlreiche anatomische Zeichnungen in großer Detailgenauigkeit an, die teilweise auf selbst vorgenommenen Sektionen beruhten. 1543 publizierte der flämische Anatom Andreas Vesalius in Basel ein bahnbrechendes Werk mit dem lateinischen Titel De humani corporis fabrica (Über den Bau des menschlichen Körpers): Darin beschrieb er weitgehend korrekt die Strukturen von Gehirn und Muskulatur, die Lage der Organe im Bauch sowie den Verlauf der Blutgefäße und Nervenbahnen.

Während seines Studiums in Padua wohnte Hartmann Schedel Sektionen bei. Überdies lernte er zu jener Zeit Griechisch. Damit war er einer der ersten Deutschen, die Zugang zur Sprache und Kultur der griechischen Antike erhielten.

Nachdem er 1466 zum Doktor der Medizin promoviert wurde, kehrte er nach Deutschland zurück. Dank des neuartigen anatomischen Wissens, welches er aus Italien mitbrachte, war Schedel ein überaus gefragter Arzt. Wie gut er mit den damaligen innovativen Ansätzen der Medizin vertraut war, zeigt sein erhaltenes Nürnberger „Rezeptbuch“ mit Anleitungen zur Herstellung von Medikamenten und zur Durchführung chirurgischer Eingriffe. Überdies stellte Schedel eine Sammlung von Therapien gegen die gefürchtete und grassierende Geschlechtskrankheit Syphilis zusammen, wo auch die Herstellung einer Quecksilbersalbe beschrieben wird.
Stadtarzt in nördlingen. Zunächst praktizierte er in Nürnberg. 1470 übernahm er das Amt des Stadtarztes in Nördlingen. 1477 wechselte er in gleicher Stellung nach Amberg. Schließlich wurde er 1481 zum obersten Arzt von Nürnberg ernannt und auch in den dortigen Großen Rat gewählt – der elitäre Innere Rat blieb ihm jedoch verschlossen. Fortan wohnte er bis zu seinem Tod am 28. November 1514 in Nürnberg. Er war zweimal verheiratet. Beide Frauen entstammten dem Nürnberger Bürgertum: 1475 ehelichte er Anna Heugel (gestorben 1485), 1487 Magdalena Haller (gestorben 1505). Aus den beiden Ehen gingen insgesamt vier Söhne und vier Töchter hervor.

Prägender Humanistenkreis

Einen herausragenden Impuls für sein Weltbild sowie für sein Wirken als Wissenschaftler erhielt Hartmann Schedel durch seinen Beitritt zum Nürnberger Humanistenkreis. Diese Vereinigung widmete sich dem sogenannten Renaissance-Humanismus. Jene geistige Strömung hatte ihren zeitlichen Schwerpunkt im 15. und 16. Jahrhundert und markiert den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit.

Humanistische Gelehrte versuchten, an die während des Mittelalters weitgehend vergessenen kulturellen Leistungen der griechischen und römischen Antike anzuknüpfen. Hierdurch leiteten sie eine neue Blüte des europäischen Geis­teslebens ein, die zu revolutionären naturwissenschaftlichen und philosophischen Erkenntnissen führte.

Zu diesem Nürnberger Humanistenkreis gehörten verschiedene Gelehrte, etwa Ärzte, Juristen, Theologen, Schriftsteller und Künstler. Mitglieder des Kreises führten regelmäßig literarische und kulturelle Veranstaltungen durch, um aktuelle Themen zu diskutieren und Informationen über die Forschung auszutauschen. Eines der bedeutendsten Projekte dieser Gelehrtengesellschaft war die Übersetzung alter Handschriften ins Deutsche. Somit wurden antike literarische Werke einem breiteren Publikum zugänglich und trugen zur Förderung der geisteswissenschaftlichen Forschung in Deutschland bei. Insgesamt gilt der Nürnberger Humanistenkreis als eines der bedeutendsten Zentren der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Humanistenbewegung und er prägte maßgeblich die kulturelle sowie die geistige Entwicklung Deutschlands.

Innerhalb des Nürnberger Humanistenkreises hatte Schedel eine herausragende Stellung, doch auch einige andere Mitglieder waren bedeutende Intellektuelle ihrer Zeit, deren Ruhm weit über die Stadtgrenzen nach ganz Europa ausstrahlte: so der gebürtige Böhme Conrad Celtis (1459 bis 1508), einer der Begründer der deutschen Humanistenbewegung und Mitbegründer der „Sodalitas litteraria Danubiana“, einer Vereinigung europäischer Gelehrter, die sich der Förderung des Studiums der Geisteswissenschaften und der Entwicklung der lateinischen Sprache verschrieb. Celtis schrieb auch viele Gedichte und Prosa, darunter eine Sammlung von Epigrammen und ein Lob der deutschen Sprache. Als zweiter ist Konrad Peutinger (1465 bis 1547) zu nennen. Dieser stammte aus Augsburg und arbeitete als Rechtsanwalt. Als leidenschaftlicher Sammler von Büchern und Antiquitäten begründete Peutinger eine große Bibliothek, die als eine der bedeutendsten ihrer Zeit galt. Eines seiner bekanntesten Werke ist die Tabula Peutingeriana, eine Karte alter Straßennetze, die er aus antiken Quellen zusammenstellte. Zu erinnern ist auch an den gebürtigen Nürnberger Willibald Pirckheimer (1470 bis 1530), der in seiner Heimatstadt als Rechtsanwalt wirkte. Er war ein produktiver Schriftsteller und Autor zahlreicher Werke zu Themen wie Recht, Philosophie, Geschichte und Kunst. Eines seiner bekanntesten Werke ist De Fat, eine Abhandlung über Willensfreiheit und Schicksal. Er war zudem ein begeisterter Sammler von Kunstwerken und Büchern, besaß eine umfangreiche Bibliothek und übersetzte selbst Werke der antiken Literatur in das Deutsche.

Leidenschaftlicher Büchersammler

Während seines bewegten Lebens brachte es Hartmann Schedel durch seine lukrative berufliche Tätigkeit und mehrere Erbschaften zu beträchtlichem Wohlstand. Einen erheblichen Teil seines Vermögens investierte er in seine Lieblingsbeschäftigung: das Sammeln von wertvollen Büchern. Er trug eine der umfangreichsten Bibliotheken des späten Mittelalters zusammen: Sein von ihm selbst angelegtes Verzeichnis nennt 667 Bände. 38 Jahre nach Schedels Ableben verkaufte sein Enkel Melchior die meisten dieser Bücher an Johann Jakob Fugger, einen Spross der berühmten Augsburger Kaufmannsfamilie. 1571 erwarb das Konvolut Herzog Albrecht V. von Bayern für seine Hofbibliothek. Heute befindet sich dieser Bücherschatz in der Bayerischen Staatsbibliothek in München.

Zu weltgeschichtlicher Bedeutung gelangte Hartmann Schedel aber nicht durch das Sammeln von Büchern, sondern durch seine eigene Tätigkeit als Autor: Berühmt machte ihn sein selbst verfasstes Buch Liber chronicarum, das ihm zu Ehren heute als Schedel'sche Weltchronik bezeichnet wird. In der ersten Fassung erschien es auf Latein, kurz darauf in deutscher Übersetzung. Schedels ehrgeiziges Vorhaben, das zu seiner Zeit bekannte Wissen über Geschichte, Theologie, Geografie, Naturwissenschaften und Kosmos in einem einzigen Opus zusammenzuführen, ruhte sprichwörtlich „auf den Schultern von Riesen“, denn das von ihm ausgewählte Genre umfasste damals bereits eine rund 1300-jährige Geschichte.

Geschichte in sechs Weltaltern

Die Weltchronik ist eine eigenständige Gattung der christlichen Geschichtsschreibung, die in den Epochen Antike und Mittelalter weitverbreitet war. Die Christen, welche sich als rechtgläubiges „Volk Gottes“ verstanden, konkurrierten mit anderen Religionsgemeinschaften im Nachweis um das höchste Alter und somit den Anspruch auf die wahre Lehre. Weltchroniken boten einen Überblick über die damals bekannte Welt- und Heilsgeschichte. Am einflussreichsten war ... (Daniel Carlo Pangerl)

Lesen Sie den vollständigen, bebilderten Beitrag in der Ausgabe September/Oktober 2023 des BSZ-Online-Magazins UNSER BAYERN. Sie können die komplette, 40-seitige Ausgabe downloaden unter
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