Unser Bayern

Die älteste kartografische Darstellung der Pfarreibezirke des Freigerichts aus dem Jahr 1585. Abgebildet sind Alzenau, Wasserlos, Hüttelngesäß, Mömbris und ein kleiner Ausschnitt des Krombacher Landgerichts mit Krombach. Außerdem sind die vier Pfarreien Alzenau, Somborn, Mömbris und Hörstein verzeichnet, an mehreren Stellen das Mainzer (Mainzer Rad) und Hanauer (rot-gold gestreift) Wappen. Das Rienecker Wappen fehlt, da die Grafen von Rieneck 1559 im Mannesstamm ausstarben. (Abbildung: Mainzer Risse und Pläne, XX 1248; HStAM, Karten, R II 39)

05.01.2024

Schnittstelle Kahlgrund

Ein Grenzraum ohne Grenzen als Bühne spätmittelalterlicher Reichs-, Regional- und Lokalpolitik

Ein Fluss, ein Berg, zahlreiche Burgen – und ein sich zuspitzender Konflikt zwischen Bischof und König sowie ein königlicher Zug gegen Raubritter. Das alles ist Bestandteil der spätmittelalterlichen Geschichte des Kahlgrunds – aus geografischer Perspektive umfasst dieser grob das Gebiet rechts und links des Kahlflusses, der wiederum zwischen den beiden Mainabflüssen Aschaff und Kinzig liegt. Dieses von den Einheimischen vor Ort im Volksmund gerne auch als eigene Region innerhalb Frankens verstandene Terrain lässt sich aus regionalhistorischer Perspektive jedoch eher als Schnittstelle zwischen den beiden Regionen Franken und Wetterau analysieren – als Grenzraum ohne sichtbare Grenzen. Er war, wie im Rahmen eines Projekts herausgearbeitet werden konnte, im Spätmittelalter Bühne der Reichs-, Regional- und Lokalpolitik.

Nachbarschaftliche Konkurrenz

Große Teile der zu Franken gehörenden Waldlandschaft Spessart war fest in der Hand der Mainzer Erzbischöfe – sie hatten im Verlauf des Mittelalters Aschaffenburg zu ihrer zweiten Residenzstadt ausgebaut. Bei der eher unbewaldeten Wetterau handelte es sich dagegen um königliches Land, wofür die vier dort gelegenen Reichsstädte Frankfurt, Wetzlar, Friedberg und Gelnhausen sprechen. Der Kahlgrund selbst setzte sich im Spätmittelalter – mit Blick von der Quelle aus zur Mündung des Kahlflusses – zusammen aus:
• dem oberen (Landgericht Krombach, Schöllkrippen, Kleinkahl),
• mittleren (Schimborn, Hüttelngesäß, „Teil A“ des königlichen Freigerichts: unter anderem die Ortschaft Mömbris)
• und dem unteren Kahlgrund („Teil B“ des königlichen Freigerichts: Kahl am Main, Kälberau, Michelbach, Alzenau, Wasserlos, Hörstein und Somborn).

Oberer und mittlerer Kahlgrund werden dabei in Nord-Süd-Richtung vom unteren Kahlgrund durch den sogenannten Hahnenkamm – ein Bergrücken, der in verschiedenen zeitgenössischen Karten Eingang fand – getrennt. Von unmittelbarem Belang dürfte ferner die Nähe der den Kahlgrund tangierenden Birkenhainer Straße (bei Somborn) gewesen sein.

Der Kahlgrund wurde im Verlauf der Geschichte von beiden Regionen beeinflusst, er ist ein Grenzraum ohne sichtbare Demarkationen. Indizien, die auf die Wetterau verweisen, sind etwa die Orientierung der im Kahlgrund angesiedelten Dörfer (zum Beispiel Mömbris) nach Gelnhausen und nicht nach Aschaffenburg hin. Hinzu kommt die relative „Freiheit“ des Burgenbaus im Kahlgrund, die ebenfalls auf die Wetterau zutrifft. Die Mainzer Erzbischöfe konnten dort, anders als im Spessart, kein Burgenbauverbot für den Adel durchsetzen. Burganlagen entstanden so im oberen Kahlgrund zum Beispiel in Krombach, im mittleren Kahlgrund in Mömbris, auf dem Hauenstein und in Hüttelngesäß sowie im unteren Kahlgrund in Kälberau, Wasserlos und mit der Randenburg. Adlige, die dabei im Kahlgrund nachhaltigen Einfluss gewannen und von der Wetterau her kamen, waren unter anderem die Herren von Hanau. Weitere Befunde, die auf die Wetterau verweisen, sind die im Kahlgrund praktizierte Gerichtsbarkeit (königliches Freigericht) sowie der dort gültige Wetterauer Landfrieden. Aus der Perspektive der Geofaktoren tritt außerdem der dichte Wald des Spessarts zurück und macht einem eher unbewaldeten Tal Platz.

Aber auch für die Einflussnahme Frankens gibt es verschiedene Hinweise. Zunächst, so das Ergebnis archäologischer Grabungen (unter anderem 2019 in Mömbris, 2017 in Hauenstein), deutet der im Kahlgrund gebräuchliche Münzspiegel auf Franken. Denn dort war nicht der Wetterauer Pfennig, sondern der im Spessart gebräuchliche Händleinheller maßgeblich. Auf die Ausweitung Mainzer Rechte verweist zudem die zugedachte Funktion der Kinzig (bei Gelnhausen) als offizielle Grenze zwischen dem Mainzer Erzbistum und dem Königtum und nicht schon vorher die den Kahlgrund durchfließende Kahl. Ebenso gelang es mit der Zeit den Mainzer Erzbischöfen, vor allem im unteren Kahlgrund mehr und mehr Fuß zu fassen. Eine im Jahr 1399 durch den Erzbischof Johann II. erbaute und erst nachträglich vom damaligen König Ruprecht genehmigte Burganlage in Alzenau unterstreicht ihre herrschaftlichen Ambitionen. Die Bedeutung weiterer Mainzer Rechte, etwa die diversen Nutzungsrechte an der Kahl (Mühlen, Fischerei und dergleichen) und Pfarreirechte, sind als auf den Spessart verweisende Indikatoren insofern mit Vorsicht zu behandeln, da die Verteilung einzelner Rechte an Objekten und Personen der damaligen Herrschaftspraxis im sogenannten territorium non clausum durchaus entsprach, also nichts Außergewöhnliches darstellte. Mit den Grafen von Rieneck(-Rothenfels) gab es jedoch nicht zuletzt auch weitere Spes­sartakteure, die gezielt ihre Herrschaftsrechte zu erweitern trachteten. Ähnlich wie die Herren von Hanau standen sie in königlichen Diensten, was ihre Anwesenheit im Kahlgrund rechtfertigte. Zum prominenten lokalen Adel gehörten mit Blick auf die zahlreichen Burganlagen außerdem die Herren von Krombach-Kälberau-Rannenberg.

Neben der Untersuchung regionaler Strukturen wurden verschiedene Ereignisse analysiert, die sich mit dem Kahlgrund als Bühne der Reichs-, Regional- und Lokalpolitik in Verbindung bringen lassen und zugleich über die Bedeutung des Kahlgrunds als „Schnittstellengrenzraum“ Auskunft geben. Dazu gehörte auch der eingangs erwähnte königliche Zug gegen die sogenannten Raubhäuser im Jahr 1405. Bei diesem wurden einige Wetterauer (Höchst bei Lindheim, Rückingen, Karben) und Kahlgrunder (Wasserlos, Hüttelngesäß, Mömbris, Hauenstein) Burgen auf Befehl des damaligen Königs Ruprecht zerstört. Die erwähnten Burganlagen stammten ursprünglich größtenteils vom lokalen Niederadel wie von den erwähnten Herren von Krombach-Kälberau-Rannenberg (Randenburg, Kälberau, Hauenstein, Krombach), ebenso von den Schellriß und den Herren von Wasserlos (Wasserlos, Hüttelngesäß). Was die Burgen angeht, trat in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts zudem der aus den beiden angrenzenden Regionen stammende Adel in Erscheinung: Die Grafen von Rieneck beispielsweise erneuerten ihre Burganlage in Mömbris, die Herren von Hanau eigneten sich den Hauenstein an.

Zur gleichen Zeit verschlechterte sich auf Reichs­ebene zunehmend die Beziehung des im Jahr 1400 zum Gegenkönig ausgerufenen König Ruprecht zum damaligen Mainzer Erzbischof und Reichsvikar Johann II. Letzterer betrieb eine aktive Erweiterungspolitik Richtung Wetterau, wie der Burgenbau in Alzenau 1399 zeigt. Anders als sein Vorgänger König Wenzel war Ruprecht jedoch bestrebt, mit allen Mitteln den verbliebenen königlichen Besitz zu festigen: Er wollte als Mehrer des Reiches gesehen werden. Die Ausbreitung des Erzbistums im Kahlgrund und in der Wetterau war ihm offensichtlich nicht entgangen. Hinzu kam, dass Johann II. ständig in Fehden verwickelt war. Ruprecht jedoch bemühte sich darum, sein Amt als oberster Richter des Reiches unangefochten auszuüben, was dazu führte, dass er immer wieder Konflikte, in die der Mainzer Erzbischof involviert war, auch gegen diesen entscheiden musste.

Insbesondere das Fehdewesen, in dem den Burganlagen eine größere Bedeutung zukam, erkannte Ruprecht als einen Grund für Unfrieden und Unsicherheit, weshalb er (wenn auch von der Forschung unterschiedlich gewürdigt) die Landfriedenspolitik seiner Vorgänger fortsetzte. In diesem Rahmen vergab er auch wieder regelmäßig das Amt des Landvogts in der Wetterau. Als Reaktion darauf entfaltete der Adel ein immer weiterwachsendes „Selbsthilfenetzwerk“ ... (Lina Schröder)

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