Unser Bayern

Unser unerforschtes Bayern: Bernhard Setzwein schreibt in seiner Glosse diesmal über Hartmut Riederer.

04.07.2025

Unser noch unerforschtes Bayern: Eine Erinnerung an Hartmut Riederer

Er war ein Genie der Briefschreibekunst und überhaupt ein überschäumender Künstler. Bernhard Setzwein erinnert in der aktuellen Ausgabe von "UNSER BAYERN", des kunst- und kulturhistorischen Online-Magazins der "Bayerischen Staatszeitung", an Hartmut Riederer.

Welches Land war das jetzt gleich noch mal, in dem die Post komplett abgeschafft werden soll? Moment … Dänemark, ach ja. Kommendes Jahr wird es in Dänemark keinen einzigen Postkasten mehr geben, in den man Briefe einwerfen kann. Zugestellt werden die Dinger sowieso auch nicht mehr. Hier bei uns in Deutschland, da brauchen wir uns nichts vormachen, nimmt es denselben Weg, über kurz oder lang. 8000 Stellen will die Deutsche Post abschaffen.

Grund dafür ist der immer weiter zurückgehende Briefverkehr – in Dänemark seit 2000 um sage und schreibe 90 Prozent. Bei uns in Bayern hat sich einer ganz alleine verzweifelt gegen diesen Trend gestemmt. Es war dies mein so sehr geschätzter Kollege, der Schriftsteller, Maler und Grafiker Hartmut Riederer. Jeder, der es schaffte, in die ehrenvolle Tafelrunde derer aufgenommen zu werden, die sich Brieffreund oder Brieffreundin des Künstlers nennen durften, wird mir recht geben. Hartmut war ein … nein, das Genie aller Briefschreibekunst! 

Es gab Tage, da trafen gleich drei, vier seiner Schreiben auf einmal ein. Wie oft er wohl zum Briefkasten gelaufen sein wird? Jeder Brief bestand aus zehn bis 15 Blatt Papier, vorne und hinten mit wildester, ausgreifender Handschrift beschrieben, außerdem mit genauso wilden Zeichnungen übersät. Und weil das alles noch nicht genügte, waren die Kuverts außen in gleicher Weise mit ekstatischen Kugelschreiberhieben überzogen. Mir ging dabei durch den Kopf, was sich wohl der Postbote gedacht haben wird, dessen schwarze, dickledrige Posttasche – die gab es damals noch – ausgebeult war allein von Hartmuts Korrespondenz. Oft oder auch nur ein zweites Mal hat er solche Post sicherlich nicht ausgetragen.

Hartmut war ein Vulkan an Ideen, ein Geysir an wilden Geschichten und Träumen, er schäumte nur so vor dauernden Einfällen. Darum musste er auch einmal in einem Film von Herbert Achternbusch ein Weißbier spielen – ja, Sie lesen schon richtig, er als Mensch spielte ein Weißbier. Und auch das gelang ihm großartig. So wie er ja auch später den Kaschperl spielte, nicht den braven, domestizierten für die Kinder, sondern den älteren, anarchistischen, alle Grundfeste stürzenden Kaschperl mit Trompete. Er schrieb eigene Stücke für sich in dieser Rolle. Hartmut wusste nie recht, was er vorrangig sein sollte, Schriftsteller, Maler, Schauspieler, Philosoph, Rezitator großer Literatur. Nun gut, dann war er eben alles auf einmal und gleichzeitig. Diese Überfülle, die alle Grenzen sprengt, war es eben auch, die sich manchmal in einem wahren Brief-Tsunami Bahn brechen musste. Als Empfänger war man sowohl überwältigt und beglückt als auch regelrecht erschlagen. Mithalten und in gleicher Münze zurückzahlen würde man sowieso nie können.

Man hatte ja auch noch ein anderes Leben. Hartmut Riederer, glaube ich, nicht. Der kannte nur seine Kunst … und hatte eine wunderbare, ihn immer stützende Ehefrau, die Elisabeth. Mal schrieb er Romane – unbedingt lesen: Knabenspielzeug, wird’s schon noch irgendwo im Internet geben –, mal malte er großformatige Ölbilder, gerne auch vom Grund des Donau-Flussbetts. Hartmut war so dermaßen in die Flüsse vernarrt – „ich träume oft von der Donau“ –, dass es mir manchmal so vorkam, als ob er gar kein Mensch sei, sondern ein Wassermann, der nur exilhalber auf dem Trockenen lebte. Das heißt, Letzteres hat er ja nicht wirklich getan, ich meine trocken gelebt, er liebte das – vor allem tschechische – Bier so inniglich wie weiland wohl nur Jean Paul.

Dem sah er übrigens, fand ich, ein klein bisschen ähnlich. Und in Lesungen der Texte des genialen Schriftstellers aus dem Fichtelgebirge interpretierte und schauspielerte er ihn so einzigartig, dass er quasi noch einmal zum Leben erweckt wurde. Wenn Sie sich jetzt fragen, wieso schreibt der Setzwein eigentlich die ganze Zeit in der Vergangenheitsform, muss ich Ihnen leider sagen: Hartmut Riederer ist nicht mehr. Er starb Ende Mai. Am 10. Juli wäre er 83 Jahre alt geworden. Bayern verliert wieder einmal einen anarchistischen Feuerkopf, einen von diesen unabhängigen Geistern, die das wahre Bayern ausmachen. Und die bayerische Post wird leider auch einpacken können, denn der letzte große Briefschreiber ist nun tot. (Bernhard Setzwein)

 

 

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