Unser Bayern

Scheiben- oder Trommelbremsen und gummibereifte Räder machen bei modernen Kutschen den Hemmschuh überflüssig. Früher hingegen tat er vor allem bei Eisenrädern gute Dienste. In der Regel wurde damit das rechte Hinterrad gebremst. (Foto: Gregor Ter Heide)

20.11.2015

Volle Fahrt zurück!

Unentbehrlich im Kutschenzeitalter: Historische Schilder erinnern daran, wann der Hemmschuh angelegt werden musste

Wer heute von Hemmschuh spricht, denkt in der Regel an jemanden, der eine Entwicklung, den Fortschritt verhindert oder zumindest verzögert. Dabei handelt es sich um einen Menschen, der von seinen Mitmenschen als eher negativ betrachtet wird. Das war nicht immer so. Einst handelte es sich beim Hemmschuh um ein äußerst hilfreiches, nützliches Instrument im Straßenverkehr. Bei starken Gefällen konnten Pferdekutschen und Fuhrwerke leicht derart ins Rollen kommen, dass Unfälle unweigerlich vorprogrammiert waren. Die Gefährte rasten den Berg hinab, stürzten um – das Unglück war groß. Doch der Hemmschuh konnte Abhilfe schaffen. Allerdings wird er in der zahlreichen Postkutschen-Poesie sträflich vernachlässigt. Romantische Lieder besingen Postkutschen-Idylle – vom Hemmschuh spricht niemand. Und nur auf wenigen der stimmungsvollen Bilder aus der „guten alten Postkutschen-Zeit“ ist ein mitgeführter Hemmschuh hinten am Gefährt baumelnd zu erahnen. Und doch war er unendlich wichtig, vor allem in bergigen Gegenden.

Immer rechts anlegen

Beim Hemmschuh handelte es sich um ein Metallgebilde, das im Bedarfsfall mit Hilfe einer Kette am Rad befestigt wurde – weswegen auch von Radschuh gesprochen wird oder von Bremsschuh. Da die Bremswirkung der damals üblichen Schleifbremsen an Steilstrecken bei weitem nicht ausreichte, legten die Kutscher einen an der Achse oder am Langbaum des Fuhrwerks befestigten Hemmschuh vor das rechte Hinterrad, um das Gespann zu bremsen. Oder wie in Meyers Konversations-Lexikon von 1887 nachzulesen ist: „Hemmschuh (Radschuh), Vorrichtung zur Verzögerung der Fahrgeschwindigkeit eines Fuhrwerks, bestehend aus einer schwach gekrümmten eisernen Platte, welche mittels einer hinlänglich starken Kette an dem Achsholz des Vorderwagens oder dem Langbaum befestigt und vor das zu hemmende Hinterrad gelegt wird. Dieses fährt auf den Hemmschuh und ist nunmehr genötigt, mit demselben zu gleiten. Hierdurch wird der Widerstand beträchtlich gesteigert und die Fahrgeschwindigkeit vermindert.“ Die rechte Seite wurde gewählt, da der rechts sitzende Kutscher so einen Blick auf den Radschuh haben konnte. Das unbeschuhte linke Hinterrad sorgte für die Spurführung der Kutsche auf der Straße. Folglich forderten Verkehrsschilder: „Vorsicht! Einhemmstelle / Obacht / Radschuh rechts einhemmen!“

Gehörige Strafe

Auf einer Jahrhunderte alten steinernen Rad­schuhsäule im Steinwald bei Friedenfels in der Oberpfalz wird bei Nichtanlegen des Radschuhs sogar Strafe angedroht: „Wer in diesen Bergabhängen ohne Radschuh oder gar nicht einsperrt zahlt 6 Gulden Strafe.“ So steht es in Stein gemeißelt – Verkehrsordnung anno dazumal. In einer Karikatur in den Fliegenden Blättern von 1853 war das Bußgeld bereits reduziert: „Das Unterlassen des Radschuheinlegens wird mit 5 fl. bestraft.“ Doch war dies wohl nicht ganz ernst gemeint; in dieser Karikatur wurden die steilen Einfahrten der Neubauten in München angeprangert. Der Kutscher, der offensichtlich Erfahrung mit den meisten der oberbayerischen Steilstrecken gesammelt hatte, fluchte dabei: „Jetzt bin ich doch schon den Katzenbuckel `runter gefahren und den Hirschberg und den Kesselberg, den Dachauerberg und die Hauptstraße bei Landsberg, aber so eine Malefizfahrerei ist mir doch noch nicht vorgekommen!“ Die moderne Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) dagegen bestimmt unter § 65 Abs. 3, dass Hemmschuhe „nur als zusätzliche Hilfsmittel und nur dann verwendet werden dürfen, wenn das Fahrzeug mit einer gewöhnlichen Bremse nicht ausreichend gebremst werden kann“. Für Nichtanlegen wird keine Strafe mehr fällig. Das dürfte die Straßenbauer freuen. Sie waren weniger begeistert von dem Bremssystem, denn die Hemmschuhe hinterließen massive Straßenschäden. Sie mussten jedoch erduldet werden, bis über den Automobilbau neue Bremstechniken zur Verfügung standen, im Grunde eigentlich bis die tierische Zugkraft abgeschafft war. Da der Hemmschuh die Fahrbahn schnell ruinierte, war er nur bei sehr steil abfallenden Strecken anzuwenden. Für schwächeres Gefälle sollte deshalb einfaches Hemmzeug, auch Schleifzeug genannt, benutzt werden.

Spezielles für vereiste Fahrbahnen

Letzte Nachfahren der guten, alten Hemmschuhe sind bei Kutschen die für asphaltierte Straßen konstruierten Wielandschen Hemmschuhe, bei denen unter der Metallkonstruktion ein Holzkeil mit konisch zulaufender Nut eingelegt wird, der auf dem Asphalt für Reibung sorgt. Auf längeren Abfahrten mit schweren Kutschen müssen diese Keile häufig mehrfach ersetzt werden. Um die Bremswirkung des Hemmschuhs auch auf verschneiten oder vereisten Wegen zu gewährleisten, nutzen Kutscher den sogenannten „Eisreißer“, auch „Eiskratzer“ genannt, der am Hemmschuh verkeilt wird. Jüngere Verwandte der Hemmschuhe sind die Unterlegkeile für Schienfahrzeuge, die allerdings nur noch zur Sicherung im Ruhezustand dienen. Auch die Engländer kennen den Hemmschuh: Sie sprechen von „brake shoe“ oder „drag shoe“ und im übertragenen Sinne von „awful drag“ (= elender Hemmschuh)... (Cornelia Oelwein) Lesen Sie den vollständigen Beitrag in der November-Ausgabe von Unser Bayern (BSZ Nr. 47 vom 20. November 2015) Abbildungen:
Warnhinweis vor dem ehemaligen Zollhäuschen in Dachau. Früher war auf den Schild noch „Einhemmstelle“ zu lesen. Heute wird unter der Darstellung eines Hemmschuhs lediglich vor dem starken Gefälle gewarnt. (Foto: Oelwein)

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