Unser Bayern

Detaila us einer Zeichnung, die eine Magd aus Grünbach mit ihren Kindern zeigt. (Foto: Claudius Stein)

01.03.2024

Vom Ball in den Stall

In Lebenserinnerungen wird ein auffallendes Miteinander der Grafen Seinsheim mit ihren Untertanen deutlich

Schloss Schönach bei Straubing im Sommer 1801. Für seinen ältesten Sohn hat Maximilian Joseph Clemens Graf von Seinsheim Hochzeitsfeierlichkeiten ausgerichtet, und zwar nach dem Seinsheim‘schen Familienmotto „Leben und leben lassen“. Das bedeutete, nicht nur die adeligen Gäste, sondern auch die Angestellten und die Untertanen sollten an dem Fest partizipieren. Dem jüngsten Sohn sollte eine Anekdote am Ende des Balles im Saal besonders im Gedächtnis bleiben – über 60 Jahre später, 1862, kam er darauf in seinen orthografisch eigenwilligen Erinnerungen zurück: „Da aber die Überzahl bei den Tänzern war, so hatte mein Vater und Mutter Sorge getragen, mehr Tänzerinen herzuschaffen, in dem Kammerjungfern und Stubenmädchen und Küchenpersonal nicht hinreichten! wurden ein Paar hübsche Viehmägde heraus gesucht, und in weiß Kleider angezogen, wo die brauen verbranten Arme wohl stark abstachen, und alles tanzte wacker durch ein ander. – Meinen Vater zu lieb wurden auch Englesen, Cottilons und Altvater getanzt. Ein Soupée erfrischte Tänzer und Tänzerinen, und gutes Bier waren herrliche Erfrischungen. So wurde trotz dem steinern Pflaster bis gegen morgens, vier Uhr wacker fort getanzt. – Während dem Tanzen da es schon so gegen Morgen gieng und zu grauen anfieng sagte eine von den weiß gekleideten Fräulein Viehmägden zu der andern, jetzt ists Zeit das wir zum Melken gehen, was zur großen Belustigung diente.“

Chronist in Wort und Bild

August Karl Graf von Seinsheim, 1789 in München geboren und auch dort 1869 gestorben, ist heute in erster Linie bekannt als Grafiker und Maler, insbesondere von Altarbildern. Weniger bekannt ist, dass Seinsheim darüber hinaus ein hingebungsvoller Chronist seiner Zeit war, ablesbar an seinen Tagebüchern, Reisebeschreibungen und Ausarbeitungen zum künstlerischen Leben unter König Ludwig I. Dieser Quellenbestand, der heute im Gräflich Seinsheimschen Hausarchiv in Schloss Sünching liegt, zeichnet sich durch eine fortlaufende Verquickung von Wort und Bild aus, in dem Sinn, dass jedem Tagebuch (zeitgenössisch Schreibkalender genannt) ein Skizzenbuch beigeordnet ist. Seinsheims Beobachtungen blieben aber nicht beim Münchner Hofleben stehen, sondern erstreckten sich auch auf das familiäre Leben der Grafen Seinsheim.

August Karl Seinsheim hinterließ Biografien seines Großvaters, des Obersthofmeisters Joseph Franz Seinsheim (1707 bis 1787), seines Vaters, des Literatur- und Musikliebhabers Maximilian Joseph Clemens Seinsheim (1751 bis 1803), und seines Bruders Joseph Arbogast Erkinger Seinsheim (1775 bis 1830), der die Herrschaft Sünching übernehmen sollte. Parallel dazu läuft die Erzählung von Seinsheims Jugenderinnerungen, die als eines der wichtigsten Ego-Dokumente zum Übergang vom alten zum neuen Bayern an der Wendezeit um 1800 jüngst ediert wurden. Hunderte von Zeichnungen zeigen den Münchener Haushalt, die Sünchinger Villeggiatur, die Verwandtschaft beim Musizieren, aber auch die Häuser der kleinen und kleinsten Bauern im Gäu­boden und ihre Bewohner, sei es in Form von ungeschönten Porträtstudien, sei es im Rahmen von gesellschaftlichen Zusammenkünften.

Ggegenseitig verpflichtet

Diese Quellen führen hinein in das Beziehungsgeflecht der Grafen Seinsheim und ihrer Untertanen: Hunderte von abgabepflichtigen Familien in den Seinsheimschen Hofmarken um Sünching, der Primogenitur von Joseph Arbogast Erkinger, und in Grünbach (bei Erding), der für Karl August, den zweitältes­ten Bruder (1784 bis 1864), bestimmten Sekundogenitur. Die Pflicht, im Gegenzug für diese Leistungen für die Abgabepflichtigen zu sorgen, nahmen die Seinsheim ernst, denn nur so konnte dieses klienteläre System funktionieren: In allen unvorhergesehenen Unglücksfällen hatten die Grundherren Solidarität zu zeigen und Subsidiarität zu üben. Die Abgaben dieser Untertanen bildeten zusammen mit den land- und forstwirtschaftlichen Betrieben sowie den Brauereien die kontinuierlich fließende finanzielle Grundausstattung der Grafen Seinsheim. Allerdings waren deren Bedürfnisse so ausgeprägt, dass zwangsläufig Schulden gemacht werden mussten.

Mit den auf allen Ebenen diensttuenden Angestellten (mehrere Dutzend Personen) in den Münchener Palais sowie in Schloss Sünching und mit Gesamtausgaben von gut 36 000 Gulden präsentierte sich der Seinsheim-Haushalt im Beispieljahr 1792 als zwar überdimensioniertes, aber sicher nicht aus dem zeitüblichen Rahmen bedeutender Adelsfamilien fallendes soziales Gebilde. Maximilian Joseph Clemens Seinsheim war kein begabter Ökonom – im Gegensatz zu seinem Vater Joseph Franz, der ab 1737 den mit Schulden belasteten Familienbesitz saniert, Schloss Sünching erneuert und mehrere Hofmarken, darunter Grafentraubach und Schönach, der Herrschaft einverleibt hatte. Wie der wiederum sparsame Sohn August Karl Seinsheim Jahrzehnte später anmerkte, wählte er einen allzu großen Lebenszuschnitt: „Mein guter Vater hatte den Grundsatz: leben und leben lassen, vielleicht zu viel für sein Vermögen.“ Hinter diesem „vielleicht“ verbarg sich, wie 1803 im Rahmen der Verlassenschaftsverhandlung offenbar wurde, ein Passivstand von gut 370 000 Gulden.

Seinerzeit galt Herablassung als positiv konnotiertes Verhalten – heute würde man eher von geringen Berührungsängsten mit rangniedrigeren Personen sprechen. Herablassend zeigte sich bereits Joseph Franz Seinsheim, der als Obersthofmeis­ter immerhin das wichtigste Amt im Umfeld des Kurfürsten innehatte: Nicht selten fand man ihn „in seiner ganzen Gravität, und mit allen seinen Orden behangen mit seiner Gemahlin und Sohns-Frau auf dem Freynachtsball bei Albert in dem Tanzsaale an einem Tische, wo er einen Ganspfeffer und kalten Braten soupirte, während an dem nehmlichen Tische ein Perückenmachersgesell mit seinem Mädchen ein gleiches thaten“.

Im Rahmen der Charakterisierung seines Vaters berührte August Karl Seinsheim auch grundsätzliche Fragen: „Der Gesellschaftliche Ton in München war damahls in der im Verhältnis kleinen Stadt so, daß der Adel sich unter alle Stände mischte, und die öffentlichen Vergnügungen mit machte, und nicht glaubte sich dadurch etwas zu vergeben, eben so wenig waren aber wohl auch die niedern Stände so anmassend wie jetzt. Mein Vater war bis zu seinem Tode nämlich bis ihn seine letzte schwere Krankheit befiel, welche Brustwassersucht und ein Polip am Herzen war, einer der besten und heitersten Gesellschafter die man finden konnte, daher von allen Ständen geliebt in dem ihn Stolz und Aufgeblasenheit fremd war.“

Karawane in die Sommerfrische

Ein herausgehobenes, von den gräflichen Kindern im düs­teren Zimmer des Münchener Palais sehnsüchtig erwartetes Ereignis im Jahreslauf war im Mai der karawanenhafte Aufbruch nach Schönach. Zwei vierspännige Bagagewagen und der Offizierwagen für die Bedienten rollten zum Tor hinaus auf die holprige, staubbedeckte Landstraße. Mutter und Kinder, die Gouvernante und die Hofmeister fuhren in zwei Kutschen bis Landshut, wo auf der Post übernachtet wurde. Die Gesamtkosten für die fast dreitägige Reise, das mehrfache Schmiergeld für die Radnaben eingeschlossen, machten einmal die stattliche Summe von 165 Gulden aus. Der Vater als Präsident des Geistlichen Rates musste mit Koch, Magd und persönlichen Dienern in München zurückbleiben und traf erst am Vorabend des Anna-Tages, also des Namenstags seiner Frau, in Schönach ein. Mit Illumination und Feuerwerk, maskierter Bauernhochzeit und durchaus anspruchsvoller Musik, dargeboten von Sünchinger, Regensburger und böhmischen Musikanten, gestaltete man ein großes Fest – die Untertanen waren natürlich einbezogen:

„Um den Saal zu füllen mußte da Alles mit tanzen. Die Schreiber von Sünching, die Jäger welche an diesen Tag auch um ihre Gratulation zu machen, und bei der Tafel aufwarten von den verschiedenen Revieren gekommen waren, Bedienten, Koch, und Köchin, Kamerjungfern, und Stubenmädchen, Hausmagd, Stallpersonal, kurz was jung und tanzlustig war. – Diese wurden so dann in dem großen Vorplatz von dem Saal mit Bier und Brod regalirt. – Alles tanzte unterein ander, die Fräuleins mit einen Jägerburschen, oder Schreiber, auch wir Kinder durften mit tanzen. – Mein Vater tanzte nur die damaligen gewöhnlichen Contertänze die man Englesen nannte. Das größte Vergnügen machte ihn den so genannten Altvater am Schluß des Balles, welcher meistens um 2 oder 3 Uhr getanzt wurde, vorzutanzen, und allerley Figuren, und Wahltouren anzugeben, wo es ihm den größten Spaß machte, wenn rechte Verwirrungen entstanden. – So errinere ich mich noch das unser Koch Max Gilch ein mal an einer solchen Verwirrung schuld war, ihm mein Vater zurief: – Koch gehe in dein Loch!“ ... (Claudius Stein)

Lesen Sie den vollständigen, reich bebilderten Beitrag in der Ausgabe März/April 2024 des BSZ-Online-Magazins UNSER BAYERN. Sie können die komplette, 40-seitige Ausgabe downloaden unter www.bayerische-staatszeitung.deFür BSZ-Abonnenten ist dieser Service kostenlos, sonst 3 Euro pro Ausgabe. 

Abbildungen:
Körperlich Versehrte wie dieser beinamputierte Mann aus Sünching erhielten Unterstützungen von den Seinsheims. (Foto: Claudius Stein)

Höhepunkte im Jahreslauf, wie im Herbst die herrschaftliche Jagd oder die Kirchweih, wurden in Sünching mit Markt, Bier und Musik für die Untertanen attraktiv gestaltet. Die Kirchweihmusik zahlte der Graf. /(Foto: Claudius Stein)

 

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