Wirtschaft

Martin Stümpfig, energiepolitischer Sprecher der Landtags-Grünen, sieht einen klaren Wortbruch. (Foto: Raphael Rother)

17.10.2025

"Das Gesetz bringt null komma null Mehrwert"

Der Grüne Martin Stümpfig über die geplante Reform der Bürgerbeteiligung, Bürgerverdruss und das Vorgehen anderer Bundesländer

Seit über einem Jahr wird über eine verpflichtende Beteiligung von Bürgern an neuen Wind- und Solaranlagen diskutiert. Nachdem ein erster Entwurf Gesetzesentwurf im März 2025 durchgefallen war, wurde jetzt im Wirtschaftsausschuss ein neuer Entwurf von CSU und Freien Wählern durchgewunken, der keine Bürgerbeteiligung vorsieht. 

BSZ: Herr Stümpfig, wie bewerten Sie es, dass die CSU eine verpflichtende Bürgerbeteiligung bei Wind- und Solaranlagen in Bayern ablehnt und damit das Versprechen von Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder bricht?
Martin Stümpfig: Das ist tatsächlich ein klarer Wortbruch. Noch im Juni hat Ministerpräsident Markus Söder betont, dass es im neuen Gesetz eine Bürgerbeteiligung geben werde und meine Kritik am neuen Entwurf der Staatsregierung als „grüne Panikmache“ bezeichnet. Im Ausschuss wurde vom CSU-Abgeordneten Steffen Vogel nun sogar erklärt, dass sie die Beteiligung der Bürger bewusst rausgestrichen haben. Auf Söders Worte angesprochen, verwies er darauf, dass der Ministerpräsident gerne Dinge versprechen könne. Das letzte Wort habe allerdings das Parlament. Gleichzeitig lehnten CSU und FW unseren grünen Gesetzesentwurf mit den Worten ab, die darin vorgesehene verpflichtende Bürgerbeteiligung sei, Zitat Steffen Vogel, ein „Scheißdreck“. Das ist schon ein starkes Stück.

BSZ: Schießt sich die CSU mit Blick auf die bevorstehenden Kommunalwahlen am 8. März 2026 durch diese Ablehnung selbst ins Knie?
Stümpfig: Sie macht es allen Bürgermeistern und Gemeinde- und Stadträten schwerer. Neue Projekte von Wind und Solar entstehen derzeit an vielen Stellen. Mit einer guten Bürgerbeteiligung bei allen Projekten wäre die Akzeptanz weit höher. Das zeigen alle Erfahrungen. Der neue Entwurf von CSU und FW sieht nur noch vor, dass der Vorhabenträger 0,2 Cent pro Kilowattstunde an die Kommune überweist. Das machen derzeit aber eh schon alle, da sie diesen Betrag von der Bundesnetzagentur rückerstattet bekommen. Die Kommune kann diese reine Geldzahlung auch gar nicht ablehnen, auch wenn sie zum Beispiel eine Beteiligung am Windrad haben möchte oder einen verbilligten Stromtarif für alle Bürger. Vogel friss oder stirb, heißt es da. Das Gesetz bringt also null komma null Mehrwert.

BSZ: Werden die Grünen in dieser Angelegenheit weiterhin Druck auf CSU und Freie Wähler ausüben?
Stümpfig: Ja, natürlich. Wir sind überzeugt, dass nur mit einer guten Beteiligung – und das geht über einen finanziellen Ablasshandel, wie bei CSU und FW geplant, deutlich hinaus – eine gute Akzeptanz erreicht wird. Wir haben schon letztes Jahr im Sommer einen Entwurf eingereicht und diesen im Frühjahr nochmal nachgebessert. Das Herzstück unseres Gesetzesentwurfs ist, dass sich Kommune und Vorhabenträger an einen Tisch setzen und gemeinsam die passende Beteiligung von Kommunen und Bürgern der Kommune ausmachen. Dafür kämpfen wir weiter, da es in anderen Bundesländern auch gut läuft.

BSZ: Wie viel mehr Wind- und Solaranlagen könnte Bayern haben, wenn Bürgerbeteiligung ernstgenommen werden würde?
Stümpfig: Das ist schwer zu beziffern. Sicher ist aber, viele Projekte stehen auf der Kippe, wenn die Bürger nicht mitgenommen werden. Die Staatsregierung sollte aus ihren Fehlern lernen. Jahrelang hat Markus Söder getönt, es wehe kein Wind in Bayern und die Windanlagen sollen in den Norden. Dann hat er sich komplett gedreht und auf einmal den größten Windpark Bayerns für Altötting angekündigt. Die Staatsforsten machten eine Ausschreibung, bei der es nicht um Bürgerbeteiligung ging, sondern um die höchste Pacht. In Mering haben die Bürger das Projekt über einen Bürgerentscheid dann abgelehnt und neun Windkraftanlagen werden nicht gebaut. Und auch die anderen Anlagen des Projekts stehen auf der Kippe – obwohl die Staatsregierung den Kommunen einen Maulkorb verpasste und das Vetorecht strich. Das neue Gesetz wiederholt die alten Fehler. Wir brauchen mehr Mitsprache und Teilhabe. Die Staatsregierung muss die Menschen mitnehmen. Wenn sich das Windrad dann dreht, ist es eine positive Geschichte.

BSZ: Befürchten Sie, dass sich durch das Agieren von CSU und FW davon frustrierte Menschen noch mehr der AfD zuwenden?
Stümpfig: Das ständige „Versprechen brechen“ von Markus Söder erhöht auf jeden Fall den Frust. Die Bürgerinnen und Bürger müssen sich darauf verlassen können, dass das Wort des höchsten Politikers in Bayern etwas zählt. Vertrauen in die Politik ist eines der höchsten Güter einer funktionierenden Demokratie. Und dieses Vertrauen schwindet durch so ein Verhalten. Das ist für uns alle demokratischen Parteien ein Problem. Dass der Ministerpräsident erst eine Bürgerbeteiligung vollmundig verspricht und dann seine Fraktion im Landtag das Gegenteil beschließt, zeigt zudem, dass der Riss zwischen der CSU und ihrem Parteichef immer größer wird.
(Interview: Ralph Schweinfurth)

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