Der 5. Dezember 2025 war ein Schicksalstag für die Koalition, aber auch für den Bundeskanzler Friedrich Merz. Mit 318 Stimmen hat er nur knapp die Kanzlermehrheit erreicht und die Schmach vermieden, den Erfolg bei der Abstimmung ausgerechnet den Linken zu verdanken – wie schon bei seiner Wahl am 6. Mai 2025. In einer nie dagewesenen Kraftprobe mit der Jungen Gruppe in der Bundestagsfraktion geht er als angeschlagener Sieger hervor, der immer mehr Mühe hat, die unterschiedlichen Kräfte in der Union zusammenzuhalten. Denn die Rentenfrage ist damit noch nicht entschieden. Zwar ist die Haltelinie über 2031 hinaus gerettet, doch ob dafür höhere Bundesmittel eingesetzt werden, ist völlig offen. Es ist bedauerlich, dass der im Koalitionsausschuss vereinbarte Entschließungsantrag für ein ergebnisoffenes und rasches Votum der Rentenkommission nicht zur Abstimmung gestellt wurde. Mitte nächsten Jahres wird sich zeigen müssen, ob die Bundesregierung die Kraft zu einer grundlegenden Rentenreform hat, mit der die Alterssicherung wieder dem Anspruch gerecht wird, für die arbeitende Bevölkerung einen angemessenen Lebensabend zu sichern.
Die deutsche Rente ist zu niedrig
Das Problem der Altersversorgung in Deutschland liegt nicht darin, dass sie zu hoch ist. Sie ist viel zu niedrig. Das Rentenniveau liegt mit 48 Prozent weit unter dem EU-Durchschnitt von 68 Prozent. Zu den Spitzenreitern gehören die Niederlande mit 90, Österreich mit 80 und Schweden mit 75 Prozent über alle drei Säulen hinweg (staatlich, betrieblich und privat). Dabei hatte die deutsche Politik bei der Rentenreform von 1957 ein Niveau von 60 Prozent versprochen. Dieses Versprechen wurde ebenso gebrochen wie das des Wohlstands für alle. Im globalen Mercer Index 2025 liegt unser Rentensystem nur auf Platz 22 von 52 Ländern.
Seit Jahrzehnten ist bekannt, dass die demografische Entwicklung die Umlagefinanzierung immer mehr erschwert. Kamen 1960 noch sechs Beschäftigte auf einen Rentner, so waren es 2000 noch vier. Heute sind es nur noch zwei. Anstelle einer Anpassung an diese Entwicklung hat man immer nur an den gleichen Stellschrauben gedreht: geringere Rente, späterer Renteneintritt, höherer Beitrag – und ein höherer Bundeszuschuss, der die Defizite auffängt und bereits 30 Prozent der Aufwendungen ausmacht. Der Aufstand der Jungen Gruppe hat gezeigt, dass es so nicht weitergehen kann.
Die Politik muss demokratiefest sein
Hans Werner Sinn, einer der renommiertesten deutschen Volkswirtschaftler, hat schon in seinem 2003 veröffentlichten Werk „Ist Deutschland noch zu retten“ die demografische Entwicklung als das schwierigste und langfristig wohl wichtigste Politikproblem für Deutschlands Wirtschaft und Gesellschaft bezeichnet. In einem eigenen Kapitel mit dem provokanten Titel „Land der Greise“ weist er darauf hin, dass andere Länder weit weniger ideologische Probleme mit einer aktiven Bevölkerungspolitik haben als die Deutschen. Anstatt nur die Symptome mit immer mehr Kapital zu bekämpfen, sollte man gegen die Ursachen selbst vorgehen: „Das Rentenproblem ließe sich lösen, der Arbeitsmarkt würde stabilisiert, und unser Land würde wieder zu der Dynamik bei der Wirtschaft und Wissenschaft zurückkehren, die es einmal besaß.“ Diese Mahnung ist heute aktueller denn je: Die Geburtenrate in Deutschland lag 2024 bei 1,35 pro Frau. Für den Erhalt des Bevölkerungsstandes bräuchte man 2,08 Kinder.
Neben einem steuerlichen Familiensplitting wie in Frankreich und mehr Kindergärten und Ganztagsschulen zielte ein Schwerpunkt seiner Vorschläge unter dem Motto „Mehr Kinder, mehr Rente, mehr Fortschritt“ auf die Neuordnung des Rentensystems. Eltern mit Kindern sollten hier belohnt werden: mit einer neuen Kinderrente, die nicht nur Arbeitnehmern, sondern auch Beamten, Selbständigen und nicht erwerbstätigen Ehefrauen zusteht. Sie sollte durch einen allgemeinen Beitrag aller Erwerbstätigen, auch der Beamten und Selbständigen, finanziert werden. Sie würde zu einer Rente aus dem bisherigen System hinzutreten, die sich ohne demografisch bedingte Erhöhung der Beitragssätze und des Bundeszuschusses bis 2035 halbieren würde. Bei drei Kindern würde das Rentenniveau von 48 Prozent erreicht werden. Kinderlose sollten verpflichtet werden, eine Riesterrente abzuschließen.
Die Bausteine für ein stabiles Rentensystem
Während die von Sinn aufgezeigten Rezepte zum wirtschaftlichen Aufschwung wie niedrigere Löhne, aktivierende Sozialhilfe, massive Steuersenkungen und Reduzierung der Staatsquote damals von Bundeskanzler Gerhard Schröder in der Agenda 2010 weitgehend umgesetzt wurden, hatte die Politik bis heute nicht den Mut, seine Vorschläge zur Reform der Rente aufzugreifen. Dabei gibt es sowohl hierzulande als auch in unseren Nachbarländern erprobte Bausteine, wie die Umlagefinanzierung verbessert und durch zwei starke Säulen ergänzt werden kann: mit einer Kinderkomponente bei den Beiträgen und durch eine Verbreiterung der Basis, sowie durch obligatorische Betriebsrenten und eine einträgliche Privatvorsorge.
Kinderkomponente wie bei der Pflegeversicherung
Das Bundesverfassungsgericht hat im Jahr 2001 festgestellt, dass Eltern durch die Kindererziehung einen „generativen Beitrag“ für die Solidargemeinschaft leisten, der bei der Bemessung der Beiträge zur Pflegeversicherung zu berücksichtigen ist. Zwei Jahrzehnte später hat das Gericht Eltern mit mehreren Kindern einen höheren wirtschaftlichen Aufwand für Kindererziehung und geringere Erwerbschancen bescheinigt. Dementsprechend hat der Gesetzgeber gehandelt: Der Beitrag für Kinderlose beträgt heute 4,2 Prozent, beim ersten Kind nur noch 3,60 Prozent, was sich bis zum fünften Kind um jeweils 0,25 Prozent bis auf 2,60 Prozent verringert. Schon 2003 hatte Hans Werner Sinn eine vergleichbare Staffelung für die Rentenversicherung vorgeschlagen. Die Junge Union hat im Zusammenhang mit der Rentenkommission von 2020 ebenfalls nach Kinderzahl gestaffelte Rentenbeiträge gefordert und dies in ihrem Leitantrag beim Deutschlandtag vom 14. bis 16. November 2025 wiederholt.
Einbeziehung von Beamten, Selbständigen und Abgeordneten wie in Österreich
Die Forderung von Sinn nach einer breiteren Basis ist in Österreich seit zwei Jahrzehnten Realität: Seither zahlen dort alle Beschäftigten, auch Beamte, Politiker und Selbständige, in die Rentenversicherung ein. Jedem steht nach 45 Versicherungsjahren eine Pension in Höhe von 80 Prozent seines während des Arbeitslebens eingezahlten Geldes bei einem Renteneintritt mit 65 Jahren zu. Zwar ist der Beitragssatz mit 22,8 Prozent (davon 10,25 für den Arbeitnehmer und 12,55 für den Arbeitgeber) höher als in Deutschland mit derzeit 18,6 Prozent, während der Staatszuschuss in etwa gleich hoch ist. Läge das Rentenniveau bei 60 Prozent, wäre auch die Beitragshöhe vergleichbar. Damit könnte die Haltelinie deutlich angehoben werden, ohne weitere Mittel aus dem Bundeszuschuss zu beanspruchen.
Eine flächendeckende Betriebsrente wie in den Niederlanden
Beim niederländischen Modell ist vor allem die Betriebsrente interessant, die im Durchschnitt 1.600 Euro beträgt, und über Tarifverträge für über 90 Prozent der Beschäftigten obligatorisch ist. Die Pensionsfonds werden durch Beiträge von Arbeitgebern (zwei Drittel) und Arbeitnehmern (ein Drittel) finanziert. Dagegen haben in Deutschland haben lediglich die Hälfte der Beschäftigten Anspruch auf eine betriebliche Altersversorgung, die im Durchschnitt etwa 600 bis 700 Euro im Monat ausmacht. Im Fall der Entgeltumwandlung reduziert sich hier die staatliche Rente.
Eine renditestarke private Vorsorge wie in Schweden
Die Riesterrente ist – so die Wirtschaftsweisen im November 2025 – zu einem „Synonym für niedrige Renditen, hohe Kosten und Bürokratie geworden. Sie ist grandios gescheitert.“ Nur 40 Prozent der Anspruchsberechtigten haben jemals einen Vertrag abgeschlossen, bereits ein Viertel von ihnen hat ihn vorzeitig gekündigt. Die durchschnittliche Rendite liegt bei zwei Prozent. Die Wirtschaftsweisen fordern eine renditestarke Altersvorsorge mit einem staatlich geförderten Vorsorgedepot nach dem Vorbild von Schweden. Dort werden 2,5 Prozent des Einkommens in Investmentfonds eingezahlt. Der staatliche Standardfonds hat 2024 eine Rendite von 27,3 Prozent erzielt.
Die Kommission in der Pflicht
Der Bundeskanzler hat eine „umfassende Rentenreform“ für das nächste Jahr angekündigt. Die Fachkommission soll noch im Dezember dieses Jahres eingesetzt werden und bis Mitte nächsten Jahres Vorschläge erarbeiten, über die die Koalition dann entscheiden wird. Es bleibt zu hoffen, dass man diesmal anders als noch 2020, als lediglich Empfehlungen zur Beibehaltung des Renteneintrittsalters von 67 Jahren und zu doppelten Haltelinien für das Rentenniveau und den Beitragssatz abgegeben wurden, über den deutschen Tellerrand hinausblickt und auch eine Kombination der dargestellten Bausteine in die Prüfung miteinbezieht. Es wird Zeit für eine echte Reform, wie sie Hans Werner Sinn schon vor zwei Jahrzehnten angestoßen hat.
(Rudolf Hanisch)
(Der Autor hat seine berufliche Laufbahn im Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung begonnen und war unter Ministerpräsident Edmund Stoiber Chef der Staatskanzlei.)
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