Wissenschaft

Der bereits im Jahr 2000 abgeschaltete Forschungsreaktor München (FRM) steht auf dem Gelände der Technischen Universität München (TUM) im Norden der bayerischen Landeshauptstadt. (Foto: dpa/Peter Kneffel)

17.06.2024

Reaktor vor Gericht

Von Wissenschaft und Politik gelobt, von Gegnern kritisiert: der Forschungsreaktor FRM II. Seit 2020 steht er still. Unter welchen Bedingungen er wieder anfahren darf, verhandelt nun ein Gericht

Der jahrelange Streit um den hochangereicherten Uran-Brennstoff für den Forschungsreaktor FRM II in Garching bei München wird nun vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) ausgetragen. Geklagt hat der Bund Naturschutz in Bayern. Die Umweltschützer halten den Betrieb mit auf 93 Prozent angereichertem Uran seit 2011 für nicht legal und sprechen von waffenfähigem Material. 

Der Bund Naturschutz hatte die Klage im Mai 2020 eingereicht. Doch seitdem steht der Reaktor durchgehend still. Zwischen März 2019 und Januar 2020 fehlten Brennelemente, im März 2020 wurde er wegen der Corona-Pandemie heruntergefahren. Einmal trat - schon während des Stillstands - radioaktives C-14 aus, der Jahresgrenzwert wurde überschritten. Dann zogen sich Revisionsarbeiten und Reparaturen hin. Deshalb war auch das Gerichtsverfahren nicht weiterbetrieben worden. 

Anlass für die Festsetzung des Verhandlungstermins sei nun die Ankündigung der Betreiber des FRM II, den Reaktor nächstes Jahr wieder hochfahren zu wollen, sagte der VGH-Sprecher. Das Gericht wolle zeitnah über die Sache entscheiden. Neben Vertretern des Bundes Naturschutz als Kläger, des Freistaats als Genehmigungsbehörde und der Technischen Universität München (TUM) als Betreiberin werden auch Sachverständige vor Gericht erwartet.

2004 in Betrieb gegangen

Offen ist, was geschieht, wenn das Gericht tatsächlich der Argumentation der Naturschützer folgt - und ob oder unter welchen Bedingungen der FRM II dann in Betrieb gehen kann. Zwar ist ein neuer Brennstoff mit auf unter 20 Prozent angereichertem Uran in Arbeit. Doch bis er eingesetzt werden kann, werden Jahre vergehen.

Am 2. März 2004 war der Forschungsreaktor FRM II in Betrieb gegangen, als eine der wichtigsten Neutronenquellen Europas für Forschung, Medizin und Industrie. Der Betrieb mit bis zu 93 Prozent angereichertem Uran war bis Ende 2010 genehmigt, danach sollte auf maximal 50 Prozent umgestellt werden. Auf Basis einer Vereinbarung wurde der FRM II aber mit hochangereichertem Uran bis Ende 2018 weiterbetrieben, anschließend gab es eine weitere Vereinbarung von Freistaat und Bund. Begründung: kein anderer genehmigter Brennstoff verfügbar. Nach Ansicht des Bundes Naturschutz reichten die Vereinbarungen aber nicht aus. "Wir gehen davon aus, dass der Betrieb schon 2011 seit Verstreichen der Umrüstungsbestimmung nicht mehr legal war", sagte der Anwalt des BN, Ulrich Wollenteit. 

Am FRM II sieht man das anders. "Wir sind zuversichtlich, dass das Gericht der Argumentation des Freistaats folgt", sagte eine Sprecherin des FRM II. "Für uns gilt die Vereinbarung zwischen Bund und Land, dass wir an einer Umrüstung auf niedrig angereicherten Brennstoff arbeiten", ergänzte die Sprecherin. "Wir haben einen groben Zeitplan." Nächstes Jahr soll die Genehmigung beantragt werden, die dann voraussichtlich bis Ende 2030 vorliegen könnte. Dann folge eine Übergangphase von ein bis zwei Jahren. Etwa 2032 könne möglicherweise der Regelbetrieb mit niedrig angereichertem Uran starten.

Neue Brennelemente eingetroffen

Die Neutronenquelle dient - sofern sie läuft - unter anderem der Medizin zur Herstellung von Radiopharmaka zur Krebsbehandlung und zur Forschung etwa an neuen Antibiotika. Außerdem wird die Quelle von der Industrie und verschiedensten Forschungszweigen genutzt, von den Materialwissenschaften, Quantentechnologien und Klimaforschung bis hin zur Archäologie. Per Neutronen-Tomographie wurden in der Vergangenheit Dino-Eier ebenso untersucht wie eine bronzene Figur des Gottes Merkur. Akkus für die E-Mobilität und Materialien für Solarzellen können getestet werden. Momentan allerdings müssen die Wissenschaftler andere Neutronenquellen nutzen. 

Seit etwa eineinhalb Jahren arbeitet man darauf hin, einen neuen sogenannten Zentralkanal einzubauen. Er hält das Brennelement in Position. Die französische Firma, die das Originalteil 1999 hergestellt hatte, konnte das Ersatzteil nicht fertigen. Nun ist eine österreichische Firma beauftragt. Wohl noch dieses Jahr soll der neue Zentralkanal eingebaut werden. Probleme bereiteten bei den Ersatzteilen auch die Folgen des Atomausstiegs. Für die Firmen sei es nicht mehr lohnend, sich für Kerntechnik zertifizieren zu lassen.

Immerhin sind neue Brennelemente eingetroffen, mit dem hochangereichertem Brennstoff. Fährt der Reaktor tatsächlich wieder an, gibt es ein neues Problem: wohin mit den abgebrannten Elementen? Die Genehmigungen zum Transport nach Ahaus und zur Aufbewahrung dort stehen aus. 47 Elemente lagern im Abklingbecken in Garching, Platz ist für 50. Pro Jahr werden im Schnitt drei Elemente abgebrannt. Sollte der Reaktor also mit dem bisherigen Brennstoff wieder anfahren dürfen, müsste nach einem Jahr der erste Transport nach Ahaus rollen. (Sabine Dobel, dpa)

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