Aus Bayerns Böden werden nahezu jeden Tag Bomben, Granaten oder andere Altlasten aus dem Zweiten Weltkrieg gezogen. Für Städte und Gemeinden ist deren sichere Entsorgung eine große Herausforderung.
Das große Aufräumen hält an. Überall im Freistaat haben Städte und Gemeinden noch immer mit immensen Altlasten aus den letzten Kriegen zu tun. Fast täglich holen Sprengstoffexperten und Fachfirmen Weltkriegsmunition aus bayerischem Boden, erklärt das Innenministerium des Freistaats. Granaten, Bomben, Munition – in der Tiefe oder in Wäldern schlummert so allerlei.
Kampfmittelbeseitigung ist eine Wissenschaft für sich. Wie heikel entsprechende Einsätze sein können, zeigt Andreas Spiegel, Sprecher des bayerischen Innenministeriums an einem Beispiel vom Juli diesen Jahres in Cham auf. Bei Baumaßnahmen wurde auf einem Grundstück inmitten einer Wohnbebauung eine 250 Kilo schwere, britische Weltkriegsbombe mit Langzeitzünder entdeckt. Sie musste gesprengt werden, da der Zünder bei der Bergung hätte aktiviert werden können. Zuvor galt es, den Zünder mithilfe eines Wasserschneidgeräts zu entschärfen: „Dabei wird er vom Bombenkörper und dem darin befindlichen Sprengstoff geschnitten.“
Geht es um einfache Baumaßnahmen, hätte meist niemand in der Bevölkerung im Vorfeld damit gerechnet, dass eine Bombe im Boden stecken könnte. Deshalb ist die Aufregung bei Funden immer groß. Vor wenigen Wochen, Ende November, war es in München mal wieder so weit: Bei Erdbewegungsarbeiten am Rande des Münchner Westfriedhofs kam eine 500 Kilo schwere Fliegerbombe zum Vorschein. Damit bei der Entschärfung nichts passierte, wurde ein Bereich im Radius von 700 Metern evakuiert. 7000 Personen waren betroffen. Sie mussten das Areal aufgrund einer Allgemeinverfügung verlassen. Wer das nicht aus eigener Kraft bewältigen konnte, für den stand die Integrierte Leitstelle zur Verfügung.
Die Bergung einer Bombe bedeutet immensem Aufwand
Für sämtliche Bürger wurde für fünf Tage ein Infotelefon eingerichtet. Auch für eine Betreuungsstelle an einem Gymnasium war gesorgt, und zwar für jene Bürger, die während der Evakuierung keine Unterkunft hatten. Auch das zeigt, mit welch immensem Aufwand die Bergung einer Bombe verbunden ist. Weltkriegsmunition belastet die Volkswirtschaft insgesamt bis heute erheblich. Im Haushalt des Freistaats waren heuer 6,25 Millionen Euro allein für die Beseitigung von Kampfmitteln veranschlagt.
Bis jetzt sind laut Pressestelle 1,53 Millionen Euro abgeflossen. Im Doppelhaushalt 2026/27 wurden 4,55 Millionen Euro eingeplant: „Die Absenkung der Mittel berücksichtigt Ausgabenreste.“ Die Gelder stehen konkret für den Kampfmittelbeseitigungsdienst sowie für beauftragte Räumungsfirmen zur Verfügung. 2024 wurden bayernweit rund 87 Tonnen Bomben, Granaten und Munition beseitigt. 2023 waren es sogar 126 Tonnen. Für 2025 liegen noch keine Daten vor.
Während aktuell kontrovers darüber diskutiert wird, wie die deutsche Armee künftig aussehen soll und wie man endlich wieder „kriegstüchtig“ werden könnte, haben Länder und Kommunen vor Ort immer noch allerhand mit den Altlasten der letzten Kriege zu tun. Der Bund beschloss soeben eine Sonderfinanzierung, um die Länder etwas stärker zu unterstützen. 7 Millionen Euro stehen 2026 zur Verfügung. Laut Bayerns CSU-geführtem Innenministerium ist dies „grundsätzlich erfreulich“. In Anbetracht der noch vorhandenen Munitionsbelastung brauche es aber langfristige Planungssicherheit.
Freistaat stellt mehrere Millionen Euro bereit
Munitionsaltlasten sind nicht nur quantitativ eine Herausforderung, weil sie nach wie vor in großer Menge unentdeckt im Boden schlummern. Sie sind auch ein erhebliches Umweltproblem. „Die jahrzehntelange Korrosion setzt Sprengstoffe und Giftstoffe frei, sie kontaminieren Böden und bedrohen das Grundwasser, und sie können jederzeit unkontrolliert detonieren“, sagt die SPD-Bundestagsabgeordnete Bettina Hagedorn.
Gerade Explosivstoffen wie TNT komme eine hohe toxische Bedeutung zu, so Andreas Weber, Referent des Oberbürgermeisters von Kempten. Die Kommune ist von der Thematik besonders betroffen, weil es hier Produktionsstandorte für Munition sowie militärische Anlagen gab. Die Stadt im Allgäu wurde im Frühjahr 1945 an die US-Armee übergeben. Bis dahin hatte es laut Haus der bayerischen Geschichte 16 Luftangriffe gegeben. Fast 2 Prozent der Bausubstanz wurde zerstört oder geschädigt.
Noch sehr viel schwerer war Nürnberg betroffen. Hier wurden 95 Prozent der Bausubstanz in der Altstadt vernichtet. Mitte November diesen Jahres mussten 21 000 Menschen ihre Wohnungen verlassen, weil wieder mal eine 450 Kilo schwere Fliegerbombe gefunden worden war. Bei Waffen- und Sprengstofffunden wird der Kampfmittelbeseitigungsdienst, der beim Innenministerium vorgehalten wird, zur Verfügung gestellt, erklärt Andreas Weber aus Kempten. Trotz dieser Unterstützung bleibe die Altlastenbeseitigung auch nach seinen Worten bis heute rechtlich, zeitlich und personell aufwendig. Zwischen Erkundung und Sanierung vergingen häufig über zehn Jahre.
Werden Altlasten auf einem privaten Grundstück entdeckt, muss der Eigentümer sanieren. Kann er das nicht, wird in Vorleistung gegangen: „Unsere Kreisverwaltung musste bei Sanierungen in Ersatzvornahme bisher 2 Euro pro Einwohner und Jahr in Eigenleistung aufbringen.“ Ohne die Hilfe von Fachfirmen funktionieren bis heute in Bayerns Kommunen wegen der vielen Altlasten im Boden weder Baugebietsentwicklungen noch Baumaßnahmen. Grundsätzlich muss im Vorfeld nach Kampfmitteln gesucht werden.
Viele Altlasten in den Böden der Kommunen
Das Bauamt von Karlsfeld arbeitet regelmäßig mit drei Fachfirmen zusammen. „Die greifen auch auf Luftbildaufnahmen aus der Kriegs- und Nachkriegszeit zurück“, erklärt Karlsfelds Sprecherin Konstantina Andriotis deren Vorgehen. In den vergangenen Jahren seien immer wieder „kleinere Objekte“ entfernt worden. Die Fachfirmen taxieren Verdachtsflächen zunächst geophysikalisch, wobei manchmal Tiefensondierungen notwendig sind. Die wiederum müssen häufig ökologisch, bodenkundlich und archäologisch überwacht werden, um unnötige Eingriffe in Natur und Boden sowie Schäden an archäologischen Objekten zu vermeiden.
Der Aufwand ist gigantisch. In der Verwaltungsgemeinschaft Maßbach wurden solche Kampfmitteluntersuchungen in diesem Jahr mit Blick auf den SuedLink-Bau geplant. Weil nur die konkrete Beseitigung Sache des Freistaats ist, verwenden Kommunen einiges an Geld, um Kampfmitteluntersuchungen durchzuführen.
Bei der Ausweisung von neuen Baugebieten auf Flächen ab 15 000 Quadratmetern entstehen nach Angaben aus Aichach Kosten bis zu 10 000 Euro. Neu-Ulm bestätigt, dass allein die Sachbearbeitung von der Feststellung einer Altlast bis zum strukturierten Ablauf für die Beseitigung zeitaufwendig ist. Die Stadt will die restlichen örtlichen Altlasten in den kommenden Jahren bergen.
In Schweinfurt wurden im Zusammenhang mit Bauarbeiten in den vergangenen zehn Jahren Blindgänger, Munitionshülsen und Munitionsteile gefunden. „Der letzte große Bombenfund ereignete sich bei Straßenbauarbeiten auf dem Gelände des Hauptbahnhofs im April 2023“, so Sprecherin Kristina Dietz. Noch seien jedoch längst nicht alle Altlasten geborgen. (Pat Christ)
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