Kultur

Die Kunsthalle München präsentiert die bislang größte Einzelausstellung von Miguel Chevalier in Europa. (Foto: dpa/SZ Photo/Robert Haas)

31.10.2025

Optische Sensationen: Computerkunst von Miguel Chevalier

„Digital by Nature“: Eine umwerfende Ausstellung des Computerkunst-Pioniers Miguel Chevalier kann man gerade in der Kunsthalle München sehen

Stehst du noch – oder schwebst du schon? Das ist jetzt die Frage, die sich Besucherinnen und Besuchern der Kunsthalle München unweigerlich stellt. Denn in vielen der dämmrigen Räume ist der Boden zur schwarzen Spiegelfläche mutiert. Was leicht schwindelerregend wirkt, weil es sich anfühlt, als wandle man auf einer glatten Wasseroberfläche über unauslotbaren Tiefen. Oder aber man kommt sich gleich vor wie ein Astronaut, der schwerelos im Weltraum treibt.

Denn spacig genug ist es ja, was einen da an optischen Sensationen umkreist wie im Sternenkarussell, im Hyper-Cyber-Giga-Planetarium. Ringe und Blasen, Schlieren, Fraktale und vegetabile Gestalten in ständig wechselnden Farben und Formen ziehen als gigantische Videoprojektion über die Wände, teils verdoppelt von Spiegeln, und die Besucher wirken am Kunstwerk mit: Sie verändern durch ihre Bewegungen diesen betörenden, während der Ausstellungsdauer sich ständig selbst weiterentwickelnden Fluss der Ornamente, den eindringlich-dezente Sphärenklänge begleiten.

Beinahe wie ein Drogenrausch

Fast scheint es, als schwimme man in Zeitlupe durch psychedelischen Kuchenteig, durch ein Mega-Aquarium voll Ursuppe und buntem Licht, mal heller, mal fast nächtlich dunkel und mal im UV-Bereich. Das ist nicht nur ein „immersives“ Erlebnis, sondern beinahe wie ein Drogenrausch, den man aber nüchtern, also bei klarstem Bewusstsein, betrachten kann.

Inmitten der Räume stehen dann ganz analoge, physische Gebilde, die freilich auch vom Computer generiert sind: geometrische Strukturen, die an Moleküle oder Kristalle erinnern, die gerasterte Skulptur eines Januskopfes, im 3D-Drucker hergestellt, oder auch ein Wandteppich mit typisch digital anmutendem Muster.

Digital by Nature heißt folgerichtig die umwerfende Ausstellung mit Werken Miguel Chevaliers (Jahrgang 1959), dieses unangefochtenen Großmeisters und Pioniers der Computerkunst. Schon in den 1980er-Jahren begann der Franzose auf einem der ersten PCs zu experimentieren, dem legendären Commodore Amiga 1000, der, ein echtes Museumsstück, auch in der Kunsthalle gezeigt wird.

Inzwischen ist der Künstler bei der KI angekommen, weshalb man als technischer Laie natürlich noch weniger versteht, wie Chevaliers Werke im Detail funktionieren. Das mag einer der Gründe für die gemischten Gefühle sein, die einen bei aller Faszination, ja Beglückung in dieser Schau gelegentlich beschleichen: Vage wabert im Hinterkopf der Gedanke, dass sie bloß eine Jahrmarktssensation höherer Ordnung sein könnte, diese verlockende virtuelle Zauberwelt, die uns unwiderstehlich in sich hineinzieht. Ein Meta-Märchenwald für Fortgeschrittene quasi, den der Magier Miguel Chevalier allen bekennenden oder verschämten Eskapisten (und wer wäre das nicht) gerade zur rechten Zeit öffnet, da die zusehends bedrohlichere Wirklichkeit draußen immer weiter vorrückt.

Aber eben dieser klischeehafte Kitschverdacht, der einen befällt, führt zum Kern von Chevaliers Kunst. Gerade darin nämlich besteht ihr (völlig kitschfreier) Reiz, dass sie fast körperlich die innere Spannung erfahrbar macht zwischen dem traumhaft-romantischen Schein und dem sterilen mathematischen Prinzip, auf dem sie, wie jede digitale Funktion, basiert: Ob Wort, Bild, Ton oder was auch immer – die gesamte Wirklichkeit löst der Computer ja in winzige Einheiten (zum Beispiel Pixel) auf, denen je ein Zahlenwert zugeordnet ist.

Dass eine auf reine Quantität reduzierte Realität derart zum Tanzen gebracht werden kann und in sinnlich verspielte Delirien kippt, wie bei diesem Künstler, ist ein Paradox von fast mystischer Dimension. Nicht zuletzt deshalb, weil Chevalier den Computer auch nutzt, um eine Fülle natürlicher Formen zu erschaffen, einen prinzipiell unendlichen Kosmos aus geheimnisvoll leuchtenden Pflanzen, Seegurken und Kristallen, die so fantastisch erscheinen wie die Wirklichkeit, weshalb sie den Verdacht erwecken, bei der Erschaffung der Welt sei dereinst wohl auch ein Rechenzentrum aktiv gewesen.

Darauf spielt eben der Titel der Ausstellung an: „Von Natur aus digital“, so könnte man ihn übersetzen – und als augenzwinkernde Kosmogonie deuten: Ist die Welt von Anfang an nichts anderes, als eine gigantische Folge von Nullen und Einsen? Ist die gesamte Natur nur das Produkt enthemmter Algorithmen und sind wir damit letztlich selbst nur Teil einer Freakshow auf dem metaphysischen Rummelplatz der Mathematik? (Alexander Altmann)

Bis 1. März 2026. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstraße 8, 80333 München. Täglich geöffnet von 10 bis 20 Uhr, an jedem dritten Mittwoch des Monats sogar bis 22 Uhr.
www.kunsthalle-muc.de

 

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