Politik

Abschiebungen am Münchner Flughafen. (Foto: dpa/Matthias Balk)

20.09.2024

Wenn der Rechtsstaat nur in eine Richtung funktioniert

Deutschland schafft es nicht, illegal eingereiste Migranten abzuschieben, nimmt aber bereitwillig anderen Ländern Dublin-Fälle ab

Viele EU-Staaten nehmen illegal eingereiste Flüchtlinge nicht zurück, obwohl sie dies müssten. Deutsche Behörden verhalten sich dagegen gesetzestreu und lassen sogenannte Dublin-Fälle anders als etwa Italien bereitwillig ins Land. Die Freien Wähler sprechen von einem „Skandal“.

Kaum ein Bündnis steht von seinem Selbstverständnis her so stark für die Solidarität von Staaten wie die Europäische Union. Doch mit dem fairen Miteinander zwischen den EU-Mitgliedern ist es nicht allzu weit her. Das zeigen Zahlen des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) zu den sogenannten Dublin-Flüchtlingen, die der Staatszeitung vorliegen. Das Dubliner Übereinkommen sieht vor, dass der EU-Staat, der einen Asylbewerbenden registriert, für diesen verantwortlich ist. Doch während der Großteil der Staaten auf die Einhaltung des Abkommens pfeift, versuchen deutsche Behörden dieses offenbar noch immer gewissenhaft umzusetzen.

Im ersten Halbjahr erging in gut 36 800 Fällen laut BAMF ein Ersuchen an den eigentlich zuständigen EU-Staat, einen illegal eingereisten Dublin-Flüchtling zurückzunehmen. In etwa 21 300 Fällen wurde dem zugestimmt. Es erfolgte jedoch nur 3000 Mal eine tatsächliche Überstellung in den eigentlich zuständigen EU-Staat. In nur gut jedem zwölften Fall kam es demnach also tatsächlich zu einer Abschiebung.

Bittet allerdings ein anderer EU-Staat Deutschland um Hilfe, funktioniert die Überstellung verhältnismäßig gut: Dem BAMF zufolge gab es in den ersten sechs Monaten dieses Jahres rund 7500 Anfragen an Deutschland für Rücknahmen von illegal eingereisten Migranten. In fast 5100 Fällen stimmten deutsche Behörden zu, in knapp 2400 erfolgte eine Überstellung nach Deutschland, also in beinahe jedem dritten Fall. Ein krasses Missverhältnis, das in der Öffentlichkeit kaum bekannt ist.

Eine wesentlich Ursache für die Misere ist der Personalmangel in den für die Abschiebungen zuständigen Ämtern. „Viele Ausländerbehörden haben zu wenig Personal“, klagt eine Sprecherin des Bayerischen Landkreistags.

Doch das erklärt nicht, warum es in die entgegengesetzte Richtung besonders hakt. Ein Grund ist der in Deutschland bisweilen fehlende Wille zur konsequenten Abschiebung auch von nachweislich rechtswidrig eingereisten Migrantinnen und Migranten. Immer wieder verhindern zudem Gerichte Abschiebungen in bestimmte Länder wie Griechenland, weil die Flüchtlinge dort nicht menschenwürdig untergebracht wurden.

Entscheidender ist allerdings, dass viele EU-Staaten sich mit allerlei Tricks gegen eine Rücknahme wehren. „Die fehlende Kooperation der europäischen Mitgliedstaaten ist ein wesentlicher Grund für das Scheitern von Rückführungen“, sagt ein Sprecher des Bayerischen Städtetags der BSZ.

Alexander Hold, migrationspolitischer Sprecher der Freie-Wähler-Landtagsfraktion, nennt das Versagen bei den Überstellungen von Dublin-Flüchtlingen einen „Skandal“. Er spricht „von über 18 000 verpassten Chancen auf Rückführungen“. Auch das CSU-geführte bayerische Innenministerium klagte jüngst, andere EU-Mitgliedstaaten stellten „sehr strenge Vorgaben auf, die bei der Durchführung von Dublin-Überstellungen zu beachten sind“.

35 Geflüchtete pro 1000 Einwohner in Deutschland – in Italien sind es nur sieben

Im Ministerium ärgert man sich über die „häufig kurzfristig wechselnden Sperrtage, an denen keine Überstellung erfolgen darf, sowie die engen Zeitfenster, in denen die Flüge ankommen dürfen“.

Italien nimmt seit Ende 2022 Dublin-Fälle in der Regel überhaupt nicht mehr zurück. Ein schwerer Verstoß gegen geltendes europäisches Recht. Das bayerische Innenministerium fordert, die Bundesregierung müsse „sich endlich effektiv für eine nachhaltige Verbesserung der Kooperationsbereitschaft und die Herstellung der tatsächlichen Rücknahmebereitschaft aller Mitgliedstaaten einsetzen“. Nur so könne geltendes „Recht auch tatsächlich vollzogen werden“.

Doch statt nach Südeuropa reist die deutsche Außenministerin lieber in aller Herren Länder, und der Kanzler schließt Migrationsabkommen mit Staaten ab, aus denen gar keine Flüchtlinge nach Deutschland kommen.

Als mit Abstand größter Nettozahler in den EU-Haushalt hätte die Bundesrepublik genug Daumenschrauben, um Italien, Bulgarien, Griechenland und Co zum Einlenken zu zwingen. Stattdessen müssen Bund, Länder und Kommunen mit Milliardensummen für die Alimentierung von Menschen aufkommen, die nach geltendem Recht eigentlich nicht hier sein sollten. Auch aus Kreisen der Bundesregierung ist allzu oft das Narrativ von den überforderten EU-Südstaaten zu hören.

Doch die Realität ist zumindest zum Teil eine andere: Mittlerweile leben in Deutschland rund 3,5 Millionen Geflüchtete, inklusive der gut 1,2 Millionen Ukrainer*innen. Die Kommunen sind bei Unterbringung und vor allem Integration längst am Limit. Statt in die marode Infrastruktur und in die kriselnde Wirtschaft investieren zu können, muss der Staat deshalb jährlich zweistellige Milliardensummen extra an Sozialausgaben bewältigen, immer öfter zulasten der schon lange hier lebenden deutschen und migrantischen Bevölkerung. Doch Rom wehklagt unter seiner rechtsgerichteten Regierung weit lauter als die Berliner Ampel. Dabei kamen Ende 2023 in Italien inklusive Ukrainer*innen nur 7,5 Geflüchtete auf 1000 Einwohner und in Spanien 12,4. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 35,5 pro 1000 Einwohner. Europaweit ist dieser Wert nur in zwei Ländern noch höher als in der Bundesrepublik.

Doch was tut der Bund gegen die Misere? Das BAMF verweist auf Anfrage der Staatszeitung auf das SPD-geführte Bundesinnenministerium, das eine Anfrage bis Redaktionsschluss unbeantwortet ließ. Johannes Becher, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Landtags-Grünen, sagt derweil der BSZ: „Selbstverständlich halten sich deutsche Behörden an Recht und Gesetz, und das ist auch gut so. Das Problem ist, dass es an konsequenter Umsetzung mangelt.“ Er mahnt die Schaffung von ausreichend Personal in den entsprechenden Ausländerbehörden an und verweist auf die Zuständigkeit der Bundesländer. „Es ist die Aufgabe der CSU-FW-Staatsregierung, für ausreichend Personal zu sorgen, Klarheit in den Zuständigkeiten zwischen örtlichen und zentralen Behörden zu schaffen und zu entbürokratisieren“, so Becher. Er fügt hinzu: „Die Bevölkerung erwartet, dass der Rechtsstaat funktioniert.“

Der Freistaat sieht den Bund in der Pflicht, der einfach nicht liefere. Becher verweist dagegen auf das ab 2026 greifende, von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) ausgehandelte gemeinsame europäische Asylsystem, „welches nach jahrelanger Blockade erstmals eine gleichmäßige Verteilung von Geflüchteten vorsieht“. Doch viele Kommunen fürchten, dass sie nicht weitere eineinhalb Jahre eine so große Zahl an Flüchtlingen aufnehmen können. „Die Leistungsfähigkeit der bayerischen Landkreise ist endlich. Die wirksame Begrenzung der illegalen Zuwanderung ist daher entscheidend für eine schnelle und erfolgreiche Wende in der Migrationspolitik“, sagt Bayerns Landkreistagsvorsitzender Thomas Karmasin. Er fordert wirksame Rückführungsabkommen.

Auch für den Bayerischen Städtetag ist klar: „Die Unterbringungskapazitäten und die Integrationskraft der Kommunen sind nahezu erschöpft. Deshalb muss sich dringend etwas ändern.“ Kurzfristig sei eine konsequente Einhaltung der Dublin-Regeln der EU-Mitgliedstaaten notwendig, so ein Sprecher. Doch die wird es auf absehbare Zeit wohl nicht geben. (Tobias Lill)

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