Politik

Im Cyberraum tummeln sich leider auch Kriminelle. (Foto: dpa/Neundorf)

10.08.2025

Im Griff von Onlineperversen: das pädokriminelle Internetnetzwerk 764

Die pädokriminelle Gruppe agiert immer dreister – es hapert aber an der Prävention

Obwohl er noch minderjährig war, verhängte das Gericht eine extrem hohe Strafe: 2023 wurde der 17-jährige Bradley Cadenhead in den USA zu 80 Jahren Haft verurteilt. Der Schüler hatte zwei Jahre zuvor das pädokriminelle Netzwerk 764 gegründet. Diese Plattform beutet Kinder im Internet sexuell aus. Vereinzelt wurden junge User offenbar schon in den Suizid getrieben. Auch wenn der Gründer inzwischen im Gefängnis sitzt: Das Netzwerk breitet sich aus und sorgt international für Unruhe.

In Deutschland erhielt 764 im Juni erstmals größere Aufmerksamkeit. In Hamburg wurde ein 20-Jähriger festgenommen, der als „White Tiger“ Kinder online sexuell missbraucht haben soll. Nach Recherchen des NDR wird aktuell in vier weiteren Bundesländern gegen mutmaßliche Mitglieder ermittelt. Auch in Baden-Württemberg laufen laut Landeskriminalamt Ermittlungsverfahren. Das Polizeipräsidium München teilt auf Anfrage mit, dass das Phänomen Internetgruppe 764 geläufig sei. Weder hier noch beim Bayerischen Landeskriminalamt sind jedoch Ermittlungen gegen Gruppenmitglieder im Freistaat bekannt.

Allein dass das Netzwerk existiert und dass es sich immer weiter ausbreitet, macht eine gute Medienerziehung unerlässlich. Darauf verweisen Medienpädagogen bundesweit. Um Kinder zu schützen, kommt es laut Verena Weigand vom Vorstand der Stiftung Medienpädagogik Bayern entscheidend auf die Eltern an. Kinder müssten das Gefühl haben, dass sie sich bei Problemen im Internet an ihre Eltern wenden können. „Das gilt speziell für schambehaftete Themen wie unangenehme Onlineerfahrungen, ungewollte Kontaktaufnahmen und sexuelle Belästigung“, so die stellvertretende Vorsitzende.

Generell breitet sich sexualisierte Gewalt im Netz aus


Über 764 hinaus breitet sich sexualisierte Gewalt im Netz aus. Davon berichtet Juuuport. Die Onlineberatungsplattform mit Sitz in Hannover hilft jungen Menschen mit Problemen im Internet. „Wir beobachten einen Anstieg solcher Anfragen“, bestätigt Juuuport-Mitarbeiterin Tessa Kaehler.

Das bei Beratungen aktuell am stärksten nachgefragte Thema nennt sich „Sextortion“ – eine offenbar auch von 764 angewandte Methode. Dabei drohen Täter mit der Veröffentlichung von Nacktfotos oder -videos des Opfers, um Geldzahlungen oder online sexuelle Handlungen zu erzwingen.
Das Medienverhalten von Kindern und Jugendlichen sorgt in vielen Familien für Dauerstreit. Zum Teil wird so heftig gestritten, dass sich das Kind irgendwann ausklinkt. Auf diese Weise wächst jedoch die Gefahr, dass sich junge Menschen in etwas verstricken, aus dem sie sich nicht mehr selbst befreien können. „Eltern sollten sich für die Onlineaktivitäten ihrer Kinder aufgeschlossen interessieren“, fordert deshalb Niels Brüggen vom Münchner Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis (JFF). Das gelte auch und gerade für umstrittene Plattformen wie Discord.

Das Vertrauen labiler Kinder erschleichen

Auf die Website von Discord gelangt man eigentlich erst ab 16 Jahren. Für die meisten Kids ist es jedoch leicht, die Altersbegrenzung zu umgehen. Discord ist bekannt für Pornografie und Cybergrooming. Unter letzterem Begriff versteht man die Anbahnung sexueller Kontakte mit Kindern und Jugendlichen im Netz. Auch Bradley Cadenhead hatte sein pädokriminelles Netzwerk auf Discord gegründet. Die Mitglieder von 764 sollen aber auch auf Telegram, Instagram und Facebook aktiv sein.
Vertrauen aufzubauen und offen mit Kindern über ihre Erlebnisse im Netz zu sprechen, ist das eine, um sie vor 764 und anderen Cybergroomern zu schützen.

Darüber hinaus sollen ihnen aber Hilfsangebote bekannt gemacht werden. Im Freistaat gründete der Bayerische Jugendring zusammen mit dem JFF das Projekt „Digital Streetwork“. Hier erhalten Jugendliche und Kinder online sozialpädagogische Unterstützung, „und das direkt in ihren Netzwerken wie Discord“, erklärt Brüggen. Eltern sollten ihren Kindern vorleben, dass es in Ordnung ist und sogar notwendig sein kann, sich von außen Hilfe zu holen.

Für labile Kinder besteht eine erhöhte Gefahr, Opfer von Pädokriminellen zu werden. „Die Täter wenden sich gezielt an verletzliche Zielgruppen“, sagt Kaehler. Scheinbar liebevoll und unterstützend näherten sie sich über Onlinespiele oder Social-Media-Plattformen gefährdeten Jugendlichen an. Opfer werden zu immer extremeren Handlungen gedrängt. Bis hin zu schweren Selbstverletzungen. Oder in den Suizid. Medien schilderten den Fall eines Jungen, der gedrängt worden sein soll, sich vor der Kamera zu erhängen.

Wer Kindern vermitteln will, was sie beherzigen sollten, muss selbst zunächst Wissen über kriminelle Möglichkeiten im Cyberraum erwerben. An Wissen in der Erwachsenenwelt mangelt es Kaehler zufolge eklatant. Begriffe wie Cybergrooming oder Sextortion seien unbekannt. „Wir erfahren auch, dass das Erlernen einer gesunden Medienkompetenz in den Schulen teilweise keine Rolle spielt“, klagt die Juuuport-Mitarbeiterin. Polizei, Kinder- und Jugendschutzorganisationen sowie Schulen müssten sensibilisiert werden.
Unfassbar, was pädokriminelle Täter mit Kindern im Internet alles treiben. Der NDR schilderte einen besonders tragischen Fall aus Kanada. Dort wurde eine 14-Jährige über Monate hinweg emotional abhängig gemacht. Irgendwann fielen dem Vater Ritzwunden auf den Armen des Mädchens auf. Die Tochter selbst sprach von einer „Selbstverletzungs-Sekte“. Der Vater berichtete, dass er von der Polizei nicht ernst genommen wurde. Man hielt ihn für überfordert. Anfang dieses Jahres brachte sich das Mädchen um. (Pat Christ)

 

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